Unser Mann in London
Zumindest bei der Namensgebung war er wirklich kreativ gewesen.
So begann meine Odyssee durch Londoner Friseursalons. Ich versuchte es mit dem einfachen High-Street-Laden. Ob ich eine
number one
wollte, fragte mich der Friseur. Bitte? Ich sah ihn an. Er wurde ungeduldig: Eine
number one
oder
number two
?
Es stellte sich heraus, dass in den billigen Londoner Friseurbuden über Männerköpfe mal schnell mit dem elektrischen Rasierer hinweggeschnitten wurde.
Number one
(radikal kurz) oder
number two
(sehr kurz) beschrieb die Länge der Rasierklinge. Andere Alternativen gab es nicht.
Ich zog zu den Haarkünstlern weiter. So hießen die Coiffeure in den etwas feineren Läden – Verzeihung: Haarstudios.
Hair artists
. Sie widmeten sich der Frisur mit etwas mehr Detailliebe als die Hauptstraßenbarbiere und verlangten für jedes einzelne abgeschnittene Haar zirka zwei Pfund.
Schließlich fand Anneke Mie. Unser Glück währte zwei Jahre, dann verließ sie London. Ich war wieder in Händen der
number ones
und Haarkünstler.
An einem jener Dezembertage 2006, an denen es nie richtig hell wurde, traf ich mich mit der Mannschaft drei Stunden vor Anpfiff in unserem Stadion zum Mittagessen. Wir spielten zwar auswärts, aber wir hätten zu Fuß gehen können, einfach die Fulham Road hinunter zur Stamford Bridge, wo uns unser lokaler Rivale FC Chelsea erwartete. Ich überflog in der Wartezeit nach dem Mittagessen den Sportteil der Zeitung und blieb an einem Bericht über den ehemaligen englischen Nationalspieler Les Ferdinand hängen. Er hatte seine Karriere ein Jahr zuvor mit 40 beendet, aber im Land des Geschichtsbewusstseins erinnerte man sich für einen Tag wieder an ihn. Er hatte 2001 das 10000. Tor der Premier League erzielt, und die Frage an diesem Spieltag lautete: Wer würde das 15000. Tor schießen? Der Zähler stand vor dem Spieltag bei 14993 Treffern, die Buchmacher nahmen Wetten an, ob das 15000. Tor in der 32. oder 41. Minute fallen würde. Les Ferdinand hatte das 10000. Tor damals gegen Fulham erzielt, blieb mir noch im Gedächtnis. Das schien mir mal wieder typisch dafür, auf welche Art mein Team Geschichte machte.
Ich spielte gegen Chelsea im zentralen Mittelfeld. Seit ich ein Jahr zuvor mit einer gebrochenen Rippe für mehrere Monate aussetzen musste, hatte ich keinen festen Platz mehr im Team. Ich spielte zwar fast immer, wurde jedoch von einer Position auf die andere geschoben.
Utility player
, sagen die Engländer: der nützliche Spieler.
Die Rippe hatte ich mir gebrochen, als Paul Robinson von West Bromwich Albion auf seine Art daran erinnern wollte, dass die Premier League die Liga der Superlative sei: stärker, härter, schneller. Er war ohne Rücksicht auf sich selbst in mich hineingerauscht. Er nannte es Zweikampf. «Hatten Sie einen Autounfall?», fragte der Arzt im Krankenhaus. Die erste Rippe, nahe am Schulterblatt, war gebrochen. Die breche normalerweise nur, wenn zwei Autos zusammenstießen.
Nach 16 Spielminuten gegen Chelsea bekamen wir einen Einwurf auf der linken Seite, weit in des Gegners Spielhälfte zugesprochen. Frank Queudrue warf den Ball stramm in Chelseas Strafraum, Tomasz Radzinski sprintete herbei, um den Ball anzunehmen. Zwei Chelsea-Spieler stürmten wie magnetisch angezogen auf Radzinski zu – und er vollführte den feinsten Trick. Er nahm den Ball einfach nicht an. Er ließ ihn am eigenen Körper vorbeifliegen, genau zwischen den zwei überrumpelten Chelsea-Verteidigern hindurch, tiefer in den Strafraum hinein. Dort stand ich. Weil Radzinski die Verteidiger abgezogen hatte, war ich mit dem Rücken zum Tor und dem Ball am Fuß abrupt frei. In einer Bewegung stoppte ich den Ball und drehte mich gleichzeitig dem Tor zu. Der Ball hüpfte ein wenig, zum Tor waren es neun Meter. Ich schoss mit rechts ins rechte Toreck.
Ich sprintete los, ich schlug Haken um meine jubelnden Mitspieler, die Windmühle, schoss es mir durch den Kopf, du musst die Mick-Channon-Windmühle machen! Ich wollte sie vor unseren Fans aufführen, aber sie saßen am anderen Ende des Stadions. Als ich realisierte, dass der Weg zu ihnen zu weit war, war es bereits zu spät. Zu viele Sekunden waren seit meinem Tor schon vergangen, jetzt konnte ich keine Jubelgeste mehr starten, ohne lächerlich zu wirken.
Entgeistert sah mein Torjubel-Koordinator zu Hause am Fernseher, wie ich wieder nur diese verdammte Zunge herausstreckte. Sie kommt nach Toren einfach aus meinem Mund, ohne dass ich etwas dagegen tun
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