Unser Mann in London
ich in dem Tütchen finden?
Die alte Professionalität eines geübten Fußballklebebildersammlers aus Kindertagen kam sofort wieder über mich: Holländer, Amerikaner und Michael Ballack
gingen voll leicht
, wie man im Jargon sagte: Ihre Bildchen hatte ich schnell doppelt und dreifach.
Zu Hause fragte ich meinen Bruder mit abgeklärter Stimme, ob er Ballack auch schon habe.
Den Flug nach Hamburg verbrachte ich damit, die Panini-Bildchen ins Album einzukleben. Argentinien gegen Elfenbeinküste würde meine erste Partie als Fan sein. Zuvor besuchte ich in Hamburg noch meine Klubkollegen Carlos Bocanegra und Brian McBride im Weltmeisterschaftsquartier der Amerikaner, um mir die Eintrittskarte für ihr Spiel gegen Italien abzuholen. Fußballmannschaften suchten ihre Unterkunft meistens in irgendwelchen abgelegenen Hotels oder Sportschulen, um höchste Ruhe garantiert zu haben. Die USA residierten direkt am Hauptbahnhof, in einer Haupteinkaufsstraße.
Polizisten mit Maschinengewehren und vermutlich noch viel mehr unsichtbare Zivilfahnder bewachten das Hotel aus Angst vor Anschlägen. Die amerikanische Lockerheit im Hotel bildete einen herrlichen Kontrast zu dem Hochsicherheitstrakt. Anders als alle anderen Fußballteams hatten die US -Spieler ihre Familien dabei. Sie wohnten das ganze Turnier hindurch wie im Urlaub mit ihren Freundinnen oder Frauen und Kindern im Hotelzimmer. Die Amerikaner liefen auch nicht einheitlich im Trainingsanzug herum, sondern jeder in seiner Freizeitkleidung, Jeans und Poloshirt, Stoffhose mit Hemd. Wenn einer dieser amerikanischen Nationalspieler in Jeans auf die Straße ging, hätte ihn ein Al-Qaida-Terrorist wahrscheinlich eh nicht erkannt.
Ach, sagte ich noch zu Carlos und Brian, bevor ich wieder ging, noch ein paar Unterschriften, bitte. Ich hielt ihnen meine Panini-Bilder hin, von ihnen hatte ich mittlerweile etliche, die USA gingen wirklich voll leicht. Mit den Originalautogrammen, dachte ich mir, könnte ich einen Bocanegra und einen McBride sicher für zehn andere Bilder eintauschen.
Nachmittags wurde das Eröffnungsspiel der WM Deutschland gegen Costa Rica im Fernsehen übertragen. Ich ging zum Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld. Dort konnte ich vom Dach eines alten Bunkers das Spiel auf der Großleinwand beobachten. Aber genauso fasziniert sah ich mir die Tausenden Fans neben und unter mir an. Am Ende des Spiels dachte ich, es wäre doch toll, wenn ich von meinen Kollegen
nicht
alle gewünschten Eintrittskarten bekommen würde. Dann könnte ich noch öfter zum Public Viewing gehen. Die Ausgelassenheit der Leute, ihre heitere Freude am Sport ohne nationalen Chauvinismus hatten mich gepackt.
Ich lernte Fußball aus einer völlig neuen Perspektive kennen.
Für Fußballspieler und Fußballfans ist derselbe Sport etwas ganz anderes. Fußball für einen Profi ist: Oh, Scheiße, ich muss schnellstens was trinken, sonst dehydriere ich, verdammt, meine Achillessehne brennt, aber es wird schon gehen, ich darf mir auf keinen Fall etwas anmerken lassen, Mist, der Trainer hat mich vorhin so grimmig angeschaut, will er mich etwa am Samstag draußen lassen? Als Profi geht kaum noch einer ins Stadion und denkt, wie geil, heute vor 65000 im Old Trafford, sondern immer nur: Wenn Giggs beschleunigt, eng bleiben, aber auf keinen Fall zu früh angreifen, oh Mann, bin ich nervös, was, wenn er mich tunnelt?
Als Fan erlebte ich beim Public Viewing eine Ausgelassenheit, die mich beschwingte und gleichzeitig melancholisch stimmte. So sollte Fußball sein. Aber so wirst du Fußball nur jetzt, in den großen Ferien, genießen können.
Fußballfans und Fußballspieler schauen Fußball auch ganz anders. Wo wir Fußballspieler bemerken, wie der deutsche Mittelfeldmann den freien Raum auf dem linken Flügel in Costa Ricas Viererkette übersieht, sehen die Fußballfans im selben Moment einen mitreißenden Steilpass des deutschen Mittelfeldmanns ins Sturmzentrum, an den der Mittelstürmer leider ganz knapp nicht herankommt. Wir Fußballspieler denken, den Pass hätte er nie spielen dürfen, der Mittelstürmer konnte gar nicht herankommen. Die Fans denken: Genial, dass er den Pass versucht hat, dass er es riskiert hat.
Fans sehen Fußball emotional, Spieler sehen Fußball analytisch. Dieser unterschiedliche Blickwinkel steht in unserem Verhältnis immerzu zwischen uns und führt dazu, dass Fans und Spieler sich gegenseitig so wenig verstehen. Aus dem Fan-Blickwinkel wurde ein Profi wie Demba Ba
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