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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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kann, ohne dass ich es will!
    Das Spiel endete 2:2, ein versöhnliches Resultat für uns beim Meisterschaftsfavoriten. Mit der Langsamkeit glücklicher Fußballer zog ich mich in der Umkleidekabine um, als mir die Nachricht überbracht wurde, die gesamte Presse wolle mit mir sprechen. Na, so weltbewegend war es doch auch nicht, dass ich mal ein Tor schoss, immerhin waren es nun schon drei in, ähm, dreieinhalb Jahren.
    Glückwunsch, sagten die Sportreporter, du hast das 15000. Tor der Premier-League-Geschichte geschossen.
     
    Ich ging mit Anneke von Chelseas Stadion zu Fuß nach Hause. Aus den Pubs an der Fulham Road kamen Entrüstungsschreie oder Hochgesänge, je nachdem ob mich Chelsea-Fans oder Fulham-Anhänger erkannten. Im Supermarkt kaufte ich noch etwas ein, um ein schönes Abendessen zu kochen. Die Frau des Pfarrers von Fulham starrte mich an und brachte schließlich hervor: «Es fühlt sich irgendwie falsch an, dir nach so einem Tor an der Supermarktkasse zu begegnen.»
    Leddy rief an. Er holte Luft. Bevor wir weitermachten, verkündete er mir, bevor wir irgendeine Hoffnung haben könnten, dass ich irgendwann einmal einen ordentlichen Torjubel lernte, müssten wir die heraushängende Zunge ausmerzen.

[zur Inhaltsübersicht]
Fünfzehn Als mir Jens Lehmann fehlte
    Ich wollte in acht Tagen um die Fußball-Welt reisen. Von Argentinien über Angola und die USA zu den Deutschen, nächste Station dann Brasilien. Vor mir lag der Spielplan der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. In meinem Kopf schob ich die Paarungen hin und her, ich ordnete und verknüpfte sie neu, bis ich meine Reiseroute zusammenhatte, sechs Spiele in acht Tagen, Argentinien gegen Elfenbeinküste in Hamburg, Portugal gegen Angola in Köln, USA gegen Italien in Kaiserslautern … ich schaute, wo und wann meine Bekannten vom FC Fulham und von Arsenal mit ihren Ländern spielen würden, und hoffte, dass sie mir Eintrittskarten zu den Partien besorgen konnten. Deutschland, Brasilien und Holland bekam ich auch noch auf meiner Liste unter. Ein
Birdwatcher
, der den Bengalengeier, Fleckenkauz und Seychellendajal abhaken durfte, konnte sich kaum besser fühlen.
    Still hatte ich gehofft, bei der WM für Deutschland spielen zu dürfen. Nachdem ich alle Jugend- und Juniorennationalteams durchlaufen hatte, schien es der logische Traum, dass ich in die Nationalelf übernommen würde. Aber Träume sind natürlich nie logisch. Einmal lud mich Bundestrainer Jürgen Klinsmann zu einem Testspiel seiner WM -Mannschaft ein, in Leipzig gegen Kamerun. Ich bekam in Leipzig viele gute Kritiken, «ein sehr geradliniger Verteidiger», «Klinsmann macht Volz Hoffnung», «klug auf dem Klapprad». Leider fielen all diese schönen Worte in den Medien vor dem Spiel. Gegen Kamerun wurde ich dann gar nicht eingesetzt.
    Nachdem der Bundestrainer mich trotz meiner dramatisch verbesserten Torbilanz (fast schon ein Tor pro Jahr) schließlich nicht für die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nominierte, beschloss ich, auf eigene Faust daran teilzunehmen. Ich wurde für einen Sommer vom Profi zum Fan.
     
    Meine Weltmeisterschaft begann in Bürbach auf der Terrasse meiner Eltern. Mein Bruder saß am Tisch und klebte Fußball-Sammelbilder in das Panini- WM -Album ein.
    «Also, dafür bist du aber jetzt wirklich zu alt, Konni.»
    Er murmelte etwas von «wenn schon mal eine WM in Deutschland ist» und «machen alle an der Universität».
    Davon, dass er beim Studium zum Wirtschaftsingenieur allerhand Unglaubliches anstellte, musste er mich nicht mehr überzeugen. Sein Auslandsjahr absolvierte Konni an der Udayana. Das ist die Universität von Bali. Selbstverständlich gehörte zum Studentenwohnheim auf Bali ein Garten mit Swimmingpool zwischen Palmen und Mangobäumen.
    Ich unterhielt mich mit meinen Eltern auf der Terrasse, und auf einmal, noch am selben Tag, als ich Konni mit dem Album gesehen hatte, fragte ich mich: «Ob die Fußballbilder wohl noch immer so riechen wie früher?»
    Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen, aber er kam immer wieder zurück. «Bin gleich wieder da», rief ich meinen Eltern zu.
    Es waren noch immer 30 Minuten auf dem alten Fahrrad zum alten Kramerladen, die Berge von Bürbach hoch und runter. Ich kaufte das Album und eine absurd große Menge Tütchen.
    Der Geruch nach frischem Plastikklebstoff war tatsächlich noch genau derselbe, ebenso wie die unerträglich schöne Ungewissheit im Moment, wenn ich die Packung aufriss: Welche Spieler würde

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