Unser Mann in London
Ballack hatte ich schon wieder doppelt.
Es stellte sich heraus, dass Khalid dieselbe Route wie ich gewählt hatte. Von Argentinien gegen Elfenbeinküste zu Portugal gegen Angola. In Köln würde mich mein Kindergartenfreund Till am Flughafen abholen. Ich bot Khalid an, dass wir ihn zum Hotel fahren würden. Unterwegs könnten wir noch etwas essen.
Till, der in Köln studierte, kam mit einem Opel Corsa nahe an der Oldtimer-Grenze. Khalid arbeitete im obersten Management von Coca-Cola Arabien. Sein Koffer passte erst nach einigem Schieben, Drücken und Ächzen in den Kofferraum.
Wir änderten kurzfristig unsere Pläne. Wir gingen alle zu Till Fußball schauen, das Nachmittagsspiel der WM lief im Fernsehen, Serbien gegen die Niederlande. Bis zu unserem Spiel Portugal gegen Angola blieben noch sechs Stunden. Wir gingen auf Tills Studentenbude, fünf Stockwerke in einem Altbau über knarzende Treppen hinauf.
«Weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte?», sagte ich zu Till in der Halbzeit. «Eine Currywurst.»
«Was ist das?», fragte Khalid.
«Eine deutsche Spezialität, sehr lecker.»
Ich lief schnell zu einer Bude, und während ich drei Currywürste mit Pommes zurücktrug, durchfuhr es mich: «Mann, du Idiot!» Khalid würde doch als Muslim kein Schweinefleisch essen.
Er war ein verständnisvoller Mann, der unsere Gastfreundschaft nicht verletzen wollte. So stocherte Khalid in der Currymatsche herum und schluckte tapfer die eine oder andere Pommes frites hinunter.
Ich glaube, die Fahrt im röhrenden Corsa und der Nachmittag in der Studentenbude hatten ihm gut gefallen. Aber die Currywurst hätte nicht sein müssen. Und dabei war noch nicht einmal das Schweinefleisch das Kernproblem. Wenn man sich einmal in einen Ausländer versetzt, dann muss das doch ein äußerst gewöhnungsbedürftiges Essen sein: in Tomatensoße ertränkte, mit trockenem Currypuder überhäufte Wurststückchen.
Das Fest ging nahtlos und scheinbar endlos weiter. In Hamburg auf dem Rathausmarkt hatte ich Argentinier im Tanzwettstreit mit Ivorern angefeuert, Tango gegen Trommelrhythmen. Nach dem Spiel in Köln startete ich mit einem Angolaner in der übervollen Straßenbahn einen Klimmzugwettbewerb. Er schaffte mehr Züge als ich, weshalb wir die Trikots tauschten. Er bekam mein Original-Angola-Jersey für seine Plastik-Raubkopie.
Ich wollte zu jedem Spiel das Trikot einer der Mannschaften tragen, denn parteiisch zu sein, ist doch die Essenz des Fanseins. Bei Niederlande gegen Elfenbeinküste hatte ich ein Problem. Meine Freunde standen auf beiden Seiten, Edwin van der Sar im Tor der Holländer, Kolo Touré in der Abwehr der Afrikaner. Ich hielt in den ersten 45 Spielminuten zu Edwin und wechselte dann in der Halbzeit den Holland-Dress für das Elfenbeinküste-Trikot, was die Leute um mich herum ein wenig verwirrte. Denn dank Edwins Karte saß ich im holländischen Fanblock.
In Berlin traf ich zum ersten Mal einen anderen Profifan. Jürgen Klopp, damals Bundesligatrainer bei Mainz 05, trug ein Australien-Trikot. Auch wenn Brasilien gegen Kroatien spielte. Wir trafen uns im WM -Haus unseres Sponsors Nike und gingen gemeinsam zum Spiel, Herthas Mittelfeldspieler Zecke Neuendorf war auch noch dabei. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Stadion schlug Kloppo wild um sich. Sein gelbes Trikot zog die Fliegen an.
«Also, Kloppo, wenn du willst, ich habe noch ein rotes Trikot in der Tasche, das kann ich dir leihen», bot ich an.
Ich hatte eines meiner Fulham-Jerseys als Geschenk für den Nike-Mitarbeiter dabei, der uns die Eintrittskarten besorgt hatte.
Einer auf dem Bild hier ist ein deutscher Spitzentrainer. Der andere bin ich. Mit Jürgen Klopp (im Volz-Trikot) bei der WM 2006 in Berlin.
Ich holte das Trikot hervor.
«Oah, geil, Premier League», sagte Kloppo und schlüpfte in mein Fulham-Trikot. Auf dem Rücken trug er nun Nummer 2, VOLZ .
«Schau mal da, der Kloppo!»
Viele Fans erkannten und begrüßten ihn.
«Echt cool, dass du ein Trikot trägst, Kloppo.»
«Was is’n das für ein Team? Ah, Fulham, Premier League, wow.»
«Vom Volz, saucool. Der ist echt ein Riesenspieler, schade, dass er nicht bei der WM dabei ist.»
Ich stand daneben. Und niemand von den Fans, die da so fachmännisch über mich mit Jürgen Klopp redeten, erkannte mich.
Ich hatte in Deutschland einen Namen, aber kein Gesicht. Die Fußballfans wussten, Moritz Volz, der hat es in der Premier League geschafft. Sie fühlten, wenn er dort eine Nummer ist, muss
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