Unser Mann in London
Spendenaktionen. Auf diese Art sind karitative Initiativen im Londoner Leben allgegenwärtig. Morgens startet der 10-Kilometer-Lauf gegen Krebs, nachmittags lädt Prince Harry zum Wohltätigkeits-Poloturnier, abends singt George Michael auf dem Ball der Stiftung «Lass ein Kind leben». Mindestens einmal am Tag begegnet man irgendwo in London einer menschlichen Mickey Mouse oder einem Teletubby mit einer Spendendose, vor dem Supermarkt genauso wie im Fußballstadion.
Nachdem sich mein Ruf, anders zu sein, verselbständigt hatte («Er fährt Fahrrad!», «Er kocht!»), fragten mich sowohl Prince Charles als auch die Polizei von Fulham, ob ich nicht ihre Wohltätigkeitsprojekte unterstützen wollte. Charles rief allerdings nicht persönlich an. Ich wurde Botschafter seines
Prince’s Trust
, der versucht, Heranwachsende, die aus dem Schul- und Ausbildungssystem geflogen waren, wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Die Polizei engagierte mich für ihr Programm «Ein sicheres Viertel». Kinder sollten sich Maßnahmen ausdenken, die das Leben in Fulham angenehmer machten. Räuber jagen mussten die Schüler in Fulham dabei nicht. Sie organisierten Besuche von Jugendlichen im Altenheim oder Schul-Workshops über die böse Sprache von Rappern.
Als Fußballer geht es bei solchen Projekten meistens darum, so banal es klingt, den Kindern Enthusiasmus und Selbstbewusstsein zu geben. Wenn sie wissen, heute werde ich mit einem Fußballprofi statt mit einem Lehrer zusammenarbeiten, scheint das viele besonders zu motivieren. Wie ein Affe im Zoo fühlte ich mich trotzdem das eine oder andere Mal, wenn am Ende eines Besuchs Kinder, die gar nicht genau wussten, wer ich war, außer, dass ich nicht John Terry war, sich auf mich stürzten, um ein Autogramm zu erhaschen. In England machten sich die Leute viel weniger aus Autogrammen als in Deutschland, von den Klubs bekamen die Spieler deshalb auch keine Autogrammkarten. Die Kinder hielten mir ihre Hand oder schnell aus den Schulheften gerissene Seiten hin, auf denen ich unterschreiben sollte. Während ich es tat, sah ich die Zettel in der nächsten Pause schon verlorengehen.
Als Fußballprofi wurde bei sozialen Engagements oft nichts anderes von uns erwartet, als anwesend zu sein, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu wecken. Ich versuchte, sooft es ging, auch etwas zu tun. Einmal setzte ich sogar mein Klapprad ein. Ich organisierte für die Jugendlichen aus dem Projekt von Prinz Charles ein Monopoly-Rennen durch London. Wie beim Monopoly-Brettspiel fuhren wir Straßen, Bankhäuser und Stationen des wahren Londons ab, die Jugendlichen fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ich trat mit dem Fahrrad an. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, wer gewann.
Prince Charles habe ich dann tatsächlich auch noch getroffen. Ich spielte bereits bei Ipswich Town, als er den Klub besuchte, um uns Fußballern für die Mitarbeit in seiner Stiftung zu danken. Da stand ich dann in einer Reihe von urplötzlich stocksteifen Profis, die eben noch drei «fucking» in jedem Satz untergebracht hatten. Nun schüttelten wir Charles die Hand und nickten andächtig zu seinen Smalltalk-Sätzen wie: «Nun, doch, ich würde sagen, als Junge war ich sehr wohl das eine oder andere Mal in ein rasantes Fußballmatch im Garten involviert.» Es heißt, Prinz Charles sei der Einzige, der noch das Englisch seiner Mutter spreche. Ich glaube, er sehnte sich danach, statt mit uns Fußballern endlich mit unserem Rasenpfleger sprechen zu können. Bei Gärtnern, Wässern und Pflanzen war Charles eher zu Hause als beim Fußball.
Aber Anneke schwärmt noch heute von ihm. Als wir auf dem Jahrestreffen des
Prince’s Trust
eingeladen waren, riss er sie mit seiner Rede mit. «Er hatte eine fabelhafte Art, sich auszudrücken, und einen spontanen Witz. Hast du gemerkt, wie er Andeutungen über Vorfälle einbaute, die gerade erst auf dem Treffen geschehen waren?», sagte Anneke später zu mir. Sie hatte ihm zugehört und sich beeindruckt gedacht: «Mensch, dem Charlie macht das richtig Spaß, hier zu reden.»
Mein Bild vom englischen Fußball, dem Hort der derben Umgangsformen, änderte sich ein wenig durch das soziale Engagement der Klubs. Aber als ich herausfand, wer der ältere Mann mit dem grauen Haar und angedeuteten Seitenscheitel war, der jeden Freitag nach dem Training zu uns zum Mittagessen in die Klubkantine kam, war ich trotzdem erstaunt.
Er sei Gary, der Rev, stellte er sich mir vor.
Rev? Meinte er
Ref
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