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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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stämmige neureiche Russinnen Kostüme von Hermès und Parfüms von Estée Lauder, während draußen in langer Reihe die Limousinen mit ihren Chauffeuren auf sie warteten, Leibwächter und Geleitwagen inbegriffen. Aber ein Blick die Straße entlang genügte, und man sah überall die Skelette von gestern an ihren verrußten Galgen baumeln: eiserne Viertelmonde, an denen die rostigen Sterne sowjetischer Großmannssucht baumelten, zerbröckelnde Fassaden, in die Hämmer und Sicheln gemeißelt waren, Bruchstücke von Parteiparolen, die von Betrunkenen an den regenverhangenen Himmel gekritzelt schienen. Und, wenn es Abend wurde, überall die Fanale der wahren Eroberer, die ihr grelles Evangelium verkündeten: »Kauft uns, eßt uns, trinkt uns, tragt uns, fahrt uns, raucht uns, sterbt an uns! Wir sind, was ihr für eure Sklaverei bekommt!« Ich mußte an Larry denken. Ich mußte oft an ihn denken. Vielleicht, weil es zu schmerzlich war, an Emma zu denken. »Proletarier aller Länder, vereinigt euch«, pflegte er zusagen, wenn er mich aufziehen wollte. »Wir haben euch nichts zu verkaufen als unsere Ketten.«
    Ich trat in mein Zimmer und erblickte auf den feudalen Kopfkissen meines übergroßen Betts einen braunen Umschlag.
    »Kommen Sie bitte morgen um 13 Uhr 30 zu dieser Adresse, sechster Stock, Zimmer 609. Bringen Sie einen Blumenstrauß mit. Sergej.«
    ***
    Es war ein schmales Haus in einer schmutzigen, schmalen Straße am Ostrand der Stadt. Nichts verriet seine Funktion. Ich hatte einen Strauß Nelken gekauft, sie rochen nach nichts und waren in Zeitungspapier eingewickelt. Ich hatte die Metro benutzt und war absichtlich öfter umgestiegen als nötig. Ich stieg eine Haltestelle zu früh aus und ging den letzten knappen Kilometer zu Fuß. Es war ein trüber Tag. Sogar die Birken auf den Boulevards wirkten dunkel. Verfolgt wurde ich nicht.
    Das Haus hatte die Nummer sechzig, aber das konnte man nur aus den Gebäuden links und rechts davon erschließen, denn an der Tür stand keine Sechzig. Vor dem düsteren Eingang parkte ein schwarzer Zil, in dem zwei Männer saßen, einer von ihnen der Fahrer. Sie starrten mich an und meinen Blumenstrauß, dann starrten sie in eine andere Richtung. Luck und Bryant, dachte ich, russische Ausgabe. Ich trat auf die Stufe, und als ich läutete, drang Kampfergestank durch die Ritzen der schlecht eingepaßten Tür, und mir fiel der Gestank ein, der mir entgegenschlagen war, als ich Aitken Mays Grab geöffnet hatte. Ein alter Mann ließ mich ein, eine Frau in Weiß saß an einem Schalter und sah durch mich hindurch. Auf einer Bank saß ein Mann in einer Lederjacke. Er musterte mich über den Rand seiner Zeitung und setzte dann seine Lektüre fort. Ich stand in einer hohen, verfallenen Eingangshalle mit Marmorsäulen und einem defekten Lift.
    Die blankgewetzte Steintreppe hatte keine Teppiche. Nicht minder feindselig waren die Geräusche: harte Absätze auf Keramik, quietschende Rollwagen, barsche Stimmen alter Frauen, die das Gemurmel ihrer Patienten übertönten. Einst ein privilegierter Ort, heute sehr heruntergekommen. Im sechsten Stock erhellte ein buntes Dachfenster das Treppenhaus. Ein kleiner, bärtiger Mann stand schüchtern darunter, er trug eine Brille und einen schwarzen Anzug und hielt krampfhaft einen Strauß Goldlilien fest.
    »Ihr Freund Peter ist zur Zeit bei Miss Eugenie«, sprudelte es aus ihm hervor. »Seine Beschützer haben ihm eine halbe Stunde erlaubt. Bitte fassen Sie sich kurz, Mr. Timothy.« Und er gab mir die Lilien, die ich mitnehmen sollte.
    Mein Freund Sergej bekennt sich zum Christentum , hatte Zorin mir anvertraut. Wenn ich ihn vor dem Gefängnis bewahre , bringt er mich in den Himmel .
    * **
    Miss Eugenie war eine schmale weiße Erhebung in den schmutzigen Laken, die sie bedeckten. Sie war sehr klein, hatte gelbe Haut und atmete in rasselnden Stößen, und Soldat Zorin saß in steifer Haltung neben ihr wie eine Ehrenwache, die Schultern zurückgebogen, die Brust nach vorn gewölbt, als trüge er noch die alten Orden. Seine harten Züge waren von Schmerz zerfurcht. Er sah mir zu, wie ich ein Glas mit Wasser füllte und die Blumen hineinstellte, dann zwängte ich mich an die Seite des Betts, wo er saß, und konnte endlich seine ausgestreckten Hände ergreifen. Er stand auf und zog mich an sich wie ein Ringer, linke Seite, rechte Seite und ein Kuß, dann gab er mich frei und ließ mich ihm gegenüber auf einer Art Melkschemel Platz nehmen.
    »Danke, daß Sie

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