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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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bis dahin in meinem Leben widerfahren waren, und erkannte Emma als den Höhepunkt meines Scheiterns. Ich erinnerte mich an all meine Ausweichmanöver und Maskeraden. Ich blickte auf alles zurück, was mir teuer gewesen war, die Ruhe und Geborgenheit, die ich als selbstverständlich betrachtet hatte, die Vorurteile, an denen ich gedankenlos festgehalten, und die Gewandtheit, mit der ich mich den Konsequenzen meiner Selbsteinschätzung entzogen hatte. Ich saß am Hotelfenster, sah die alte Stadt sich für den Winter rüsten, und ohne daß es mir wie eine große Offenbarung vorgekommen wäre, erkannte ich, daß Emma tot war: Womit ich sagen will, daß sie von dem Augenblick an, da mir klar wurde, daß sie meinen Schutz nicht mehr nötig hatte, für mich ebenso weit weg und gesichtslos war wie die Passanten draußen auf dem Bürgersteig.
    Emma war tot, weil sie mich getötet hatte und weil sie in die Halbwelt zurückgekehrt war, in der ich sie gefunden hatte, mit den Füßen im Schlamm versinkend, den Blick auf einen unmöglichen Horizont gerichtet. Nur Larry hatte überlebt. Nur wenn ich Larry folgte, konnte ich den Abgrund füllen, der mir so lange als Seele gedient hatte.

14
    Es war keine Nachricht von Sergej da.
    Zaristische Kronleuchter erhellten das riesige Foyer, um einen buntschillernden Springbrunnen tanzten Gipsnymphen, deren glänzende Torsos sich in einem Karussell goldgerahmter Spiegel endlos wiederholten. Eine Tänzerin aus Pappe empfahl das Kasino im zweiten Stock, Imitationen von Stewardessen wünschten mir einen angenehmen Aufenthalt. Das hätten sie den eingemummten Bettlerinnen draußen an der Straßenecke sagen sollen oder den Kindern, die mit leblosen Augen und finsteren Absichten an den Ampeln und in schmutzigen Unterführungen herumlungerten, oder den zwanzig Jahre alten Wracks, die in Hauseingängen stehend schliefen wie die Toten; oder den geschlagenen Heeren von Fußgängern, die auf der Jagd nach ein paar Dollars waren, weil sie sich für ihre schwindsüchtigen Rubel nichts kaufen können.
    Aber immer noch keine Nachricht von Sergej.
    Mein Hotel lag zehn Minuten zu Fuß von der echten Lubjanka entfernt, in einer dunklen, mit Schlaglöchern übersäten Straße; die Pflastersteine klirrten metallisch unter meinen Schuhen, und wenn sie einsanken, quoll gelber Schlamm zwischen ihnen hoch. Den Eingang sicherten sechs Mann: Ein finster blickender Posten in blauer Uniform stand draußen unmittelbar vor der Tür, zwei Männer in Zivil beobachteten die ankommenden und abfahrenden Wagen; in der Vorhalle ein zweites Trio in schwarzen Anzügen, und alle so feierlich, daß sie mir wie Leichenbestatter vorkamen, die mit ihren scharfen Blicken die Maße für meinen Sarg berechneten.
    Aber eine Nachricht von Sergej hatten sie nicht.
    Ich ging durch die breiten Straßen, analysierte nichts, achtete auf alles und war mir bewußt, daß ich keine Zuflucht mehr hatte, keine beruhigende Telefonnummer, die ich anrufen konnte, falls ich in Schwierigkeiten geriet, daß ich schutzlos preisgegeben und unter falschem Namen in einem Land war, das ich zeit meines Lebens als feindliches Gebiet betrachtet hatte. Sieben Jahre waren seit meinem letzten Aufenthalt hier vergangen, als ich zwei Wochen lang in der Rolle des Lakaien vom Außenministerium irgendwelche administrativen Aufgaben an der Botschaft wahrnahm, in Wirklichkeit aber Geheimgespräche mit einem Parteitechnokraten führte, der gewisse Waren zu verkaufen hatte. Damals hatte ich, wenn ich mich in und aus Autos stahl und in dunkle Hauseingänge duckte, gewiß manche beängstigenden Situationen durchzustehen, aber was ich am meisten fürchtete, war Enttarnung und ein wenig ruhmreicher Rückzug nach London, ein paar unzutreffende Zeilen in den Zeitungen und das schiefe Lächeln der Kollegen in der Bar der höheren Chargen. Wenn ich damals, als ich die unglücklichen Seelen um mich her betrachtete, ein Bild von mir hatte, dann das von einem heimlichen Gesandten aus einer überlegenen Welt. Diesmal fand ich keinen Trost in so erhebenden Vorstellungen. Ich war einer von diesen Menschen, wurde ebenso wie sie von meiner Vergangenheit vorangetrieben und wußte nichts von meiner Zukunft. Ich war ein Flüchtling, heimatlos und staatenlos, ein kleines Volk, das aus einer Person bestand.
    Ich ging durch die Straßen, und allenthalben begegnete mir der Wahnsinn der Geschichte. Im alten GUM-Gebäude, wo man früher die unkleidsamste Garderobe der Welt kaufen konnte, probierten

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