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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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und starrte ihr verzweifelt ins Gesicht. Einen solchen Ausdruck von Schmerz und inniger Liebe auf einem so wenig dazu passenden Gesicht habe ich wohl noch nie gesehen. Sie schrie leise und wie um Verzeihung bittend. Er nickte mir zu, und ich schüttelte die Kopfkissen auf. Dann legte er sie sachte wieder zurück.
    »Finden Sie Tschetschejew für mich, Timothy«, befahl er. »Sagen Sie ihm, er soll es in die Welt hinausschreien, seine Motive erklären, sagen, daß er ein guter Mensch ist, sagen, was er getan hat und warum. Und wenn er schon mal dabei ist, kann er ihnen auch sagen, daß Wolodja Zorin unschuldig ist und Sie auch. Sagen Sie ihm, er soll seinen schwarzen Arsch bewegen, bevor die Idioten mir eine Kugel ins Genick jagen.«
    »Aber wie soll ich ihn finden?«
    »Pettifer war Ihr Agent, Herrgott noch mal! Er hat uns geschrieben. Uns . Dem KGB, oder wie auch immer man uns heute nennt. Er hat ein volles Geständnis seiner Verbrechen abgelegt. Er hat uns gesagt, daß er zuerst Ihnen und später uns gehört hat. Jetzt aber will er niemandem mehr gehören. Weder Ihnen noch uns, nur noch sich selbst. Leider haben die Idioten sein Schreiben, es wird also nie an die Öffentlichkeit gelangen. Nur hat er sich damit zur Zielscheibe gemacht. Wenn die Idioten nicht nur Tschetschejew, sondern auch Pettifer töten können, werden sie begeistert sein.« Er nahm eine englische Streichholzschachtel aus der Tasche und legte sie vor mich aufs Bett. »Gehen Sie zu den Inguschen, Timothy. Sagen Sie ihnen, Sie seien Pettifers Freund. Er wird es bestätigen. Tschetschejew auch. Dies sind die Telefonnummern der bekannten Rädelsführer der Bewegung hier in Moskau. Sagen Sie ihnen, sie sollen Sie zu ihm bringen. Vielleicht tun sie’s. Vielleicht töten sie Sie auch vorher, aber das wäre nicht persönlich gemeint. Ein Schwarzarsch ist ein Schwarzarsch. Und wenn Sie Tschetschejew treffen, schneiden Sie ihm für mich die Eier ab.«
    »Es gibt da ein Problem.«
    »Es gibt Hunderte. Was denn?«
    »Wenn ich an der Stelle Ihrer Vorgesetzten wäre und wenn ich Tschetschejew erwischen wollte und wenn ich Sie als meinen Gefangenen hätte, dann würde ich Ihnen den Auftrag geben, genau das, was Sie mir eben vorgeschlagen haben, Cranmer zu sagen, wenn er hier in dieses Zimmer käme« – er begann lautstark zu protestieren, aber ich redete weiter –, »und dann würde ich darauf warten, daß Cranmer mich zu Tschetschejew führt. Und natürlich zu seinem Freund Pettifer –«
    Er unterbrach mich mit einem wütenden Knurren. »Glauben Sie denn, das würde ich nicht tun, wenn es möglich wäre?
    Herrgott! Ich würde selbst zu den Idioten gehen. ›Hört zu, Idioten! Cranmer, der britische Spion, kommt mich besuchen! Er ist nicht ganz richtig im Ko pf. Er hält mich für seinen Freund. Ich habe ihn hergelockt. Ich schicke ihn zu den Inguschen. Wir folgen ihm gemeinsam, wie einem Fleck im Wasser, bis wir zur Quelle gelangen! Und dann zerschlagen wir das ganze Rebellenpack und jagen diese britischen Meisterspione zum Teufel!‹ Das würde ich tun und noch mehr, wenn wir dadurch unsere Würde und unser Ansehen in der Welt zurückgewinnen könnten. Ich habe mein Leben lang an das geglaubt, was ich getan habe. ›Ja‹, habe ich gesagt, ›wir machen Fehler, wir schlagen falsche Wege ein, wir sind Menschen und keine Engel. Aber wir sind auf der richtigen Seite. Bei uns hat der Mensch eine Zukunft. Wir sind die moralischen Werkzeuge der Geschichte.‹ Als die Perestroika kam, habe ich sie unterstützt. Mein Dienst auch. ›Aber nur nach und nach‹, haben wir gesagt. ›Wir müssen ihnen die Freiheit tropfenweise verabreichen. Immer nur ein bißchen mehr.‹ Aber die Leute wollten sie nicht tropfenweise. Sie haben den Topf umgeschmissen und alles auf einmal heruntergeschlungen. Und was ist jetzt aus uns geworden?«
    Er starrte Eugenie an. Er schien auch zu ihr zu sprechen, denn seine Stimme war leise und sehr zärtlich geworden.
    »Wir haben also Leute erschossen«, sagte er. »Viele Leute. Darunter auch gute Menschen, die man nicht hätte erschießen müssen. Andere waren miese Schweine, die man zehnmal hätte erschießen müssen. Wie viele Menschen hat Gott getötet? Wofür? Wie viele tötet er Tag für Tag, ungerecht, ohne Grund, Motiv und Mitgefühl? Und wir waren nur Menschen. Und wir hatten einen Grund.«
    Ehe ich aus dem Zimmer ging, sah ich mich noch einmal um. Er beugte sich über sie und horchte gespannt auf ihren Atem, sein großes Gesicht war

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