Unser Spiel
tränenüberströmt.
***
In meinem Zimmer standen zwei Telefone, ein rotes und ein schwarzes. Das rote war, dem Hochglanzprospekt zufolge, meine persönliche direkte Verbindung in alle Welt. Es war aber das schwarze Telefon, das mich gegen zwei Uhr morgens aus meinem schlaflosen Dämmerzustand riß.
»Sie sind Mr. Bairstow, bitte?« – eine Männerstimme, korrektes Englisch, aber mit Akzent.
»Mit wem spreche ich?«
»Hier spricht Issa. Was wünschen Sie von uns, bitte, Mr. Bairstow?«
Issa von Emmas Anrufbeantworter in der Cambridge Street, dachte ich. »Ich bin ein Freund von Mischa«, sagte ich.
Seit zwei Tagen hatte ich in Cafés und Telefonzellen die Nummern gewählt, die Zorin mir gegeben hatte, und in meinem handgepreßten Russisch, wie Larry es nannte, mit Anrufbeantwortern und kurz angebundenen Mittelsmännern gesprochen: Ich bin hier, mein Name ist Bairstow, ich bin ein Freund von Mischa, es ist dringend, bitten rufen Sie mich im Hotel unter folgender Nummer an. Und es kam mir, das gebe ich zu, ein wenig seltsam vor, mich, wenn auch nur teilweise, als Agenten Zorins reden zu hören.
»Wer ist Mischa, bitte, Mr. Bairstow?«
»Mischa ist ein englischer Gentleman, ebenso wie ich, Issa«, antwortete ich forsch, denn ich wollte nicht, daß die zwanzig anderen Zuhörer bei unserem Gespräch uns für Verschwörer hielten.
Stille, während Mischa diese Auskunft verdaute.
»Was ist dieser Mischa von Beruf, bitte?«
»Er handelt mit Teppichen. Er kauft Teppiche im Ausland und läßt sie an spezielle Kunden ausliefern.« Ich wartete, es kam aber keine Reaktion. »Leider ist der Exporteur, über den Mischa seine Lieferungen abwickelt–« doch ehe ich noch mehr sagen konnte, hatte Issa mich unterbrochen.
»Welches Geschäft führt Sie nach Moskau, bitte, Mr. Bairstow?«
»Freundschaft. Ich habe wichtige persönliche Mitteilungen für Mischa.«
Die Verbindung war unterbrochen. Wie Larry sagen nur wenige Russen am Telefon auf Wiederhören. Ich starrte in die Dunkelheit. Zehn Minuten später läutete es wieder. Diesmal sprach Issa zur Begleitung hallender Stimmen im Hintergrund.
»Wie ist Ihr Vorname, bitte, Mr. Bairstow?«
»Colin«, antwortete ich. »Aber Leute, die mich gut kennen, sagen Tim zu mir.«
»Tim?«
»Die Kurzform von Timothy.«
»Colin Timothy?«
»Colin oder Timothy. Timothy ist so eine Art Spitzname.« Ich wiederholte in Russisch das Wort für Spitzname. Ich wiederholte Timothy auf englisch und dann in der russischen Version.
Er legte auf. Zwanzig Minuten später meldete er sich wieder.
»Mr. Colin Timothy?«
»Ja.«
»Hier spricht Issa.«
»Ja, Issa.«
»Vor dem Hotel wartet ein Wagen auf Sie. Ein weißer Lada. Die Nummer dieses Wagens« – er legte die Hand auf die Sprechmuschel, als berate er sich mit jemandem –, »die Nummer ist 686.«
»Und wer ist da drin? Wo bringt man mich hin?«
Die Stimme nahm einen Befehlston an, und zwar einen dringenden, als ob er selbst, während er mit mir sprach, Befehle empfing. »Der Wagen steht jetzt vor Ihrem Hotel. Der Fahrer heißt Magomed. Kommen Sie bitte sofort. Jetzt gleich.«
Ich zog mich hastig an. Im Flur war eine Ausstellung grauenhafter Gemälde von glücklichen russischen Bauern, die auf verschneiten Waldlichtungen tanzten. Im Kasino spielten zwei Finnen verdrossen gegen einen Raum voller Croupiers und Hostessen. Ich trat auf die Straße hinaus. Eine Schar Mädchen und ihre Zuhälter stürmten auf mich zu. Heftiger als ich eigentlich wollte, brüllte ich ihnen »Nein« entgegen, und sie verzogen sich. Graupel mischte sich in den eisigen Regen. Ich trug keinen Hut und nur einen dünnen Mackintosh. Ob der Herr ein Taxi haben wolle? fragte der Portier auf deutsch. Der Herr wollte keins. Der Herr wollte Larry haben. Dampf stieg aus den Gullis im Kopfsteinpflaster auf. Dunkle Gestalten huschten über die Straße.
Ein Lada parkte zwischen zwei Lastwagen mitten auf der Fahrbahn, er war nicht weiß, sondern grün, und die Nummer war 688, nicht 686. Aber schließlich befand ich mich in Moskau, und es war immerhin ein Lada. Ein sehr breitgebauter, kaum einsfünfzig großer Mann hielt mir strahlend die Beifahrertür auf. Er trug ein dickes Käppchen mit langer Quaste, einen Trainingsanzug und darüber eine wattierte Weste, und er hatte die traurigen Züge eines Clowns. Ein zweiter Mann lauerte im dunklen Fond des Wagens, sein hageres Gesicht war unter der Hutkrempe kaum zu erkennen. Nur auf sein hellblaues Hemd fiel ein Strahl
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