Unser Spiel
der Straßenlaterne. Und da man in angespannten Situationen entweder alles oder nichts sieht, fiel mir auf, daß sein Hemd aus einem schweren, handgewebten Stoff war und keinen Kragen im westlichen Sinne hatte, sondern hoch geschlossen und mit Knebelknöpfen an langen geflochtenen Stoffschnüren zugemacht war.
»Mr. Timothy?« fragte der Clown. Er gab mir die Hand. »Mein Name ist Magomed, Sir, nach dem Propheten«, erklärte er in einem Russisch, das etwa so imposant war wie meins. »Ich bedaure, daß die meisten meiner Freunde tot sind.«
Ich kletterte auf den Beifahrersitz und fragte mich, ob er mir damit sagen wollte, daß auch mein Freund tot sei. Er schlug die Tür zu und tauchte vor dem Wagen wieder auf, um die Scheibenwischer einzusetzen. Dann schwang er sich gewandt auf den Fahrersitz, für den er allerdings etwas zu breit war. Er drehte den Zündschlüssel, einmal, dann noch mehrmals. Er schüttelte den Kopf mit der Quaste wie jemand, der weiß, daß niemals irgend etwas wirklich funktioniert, und versuchte es ein weiteres Mal. Der Motor sprang an, und als wir dann fuhren und uns zwischen den Schlaglöchern hindurchschlängelten, sah ich, daß Magomed das tat, was ich erhofft hatte: Er ließ den Rückspiegel nicht aus den Augen.
Der Mann hinter uns sprach leise in ein Handy, in einer Sprache, die ich nicht verstand. Gelegentlich unterbrach er sich, um Magomed Anweisungen zu geben, die er aber jedesmal gleich wieder rückgängig machte, so daß unsere Fahrt zu einem Hin und Her aus Zwischenspurts und hastigen Kurswechseln wurde, bis wir endlich mit quietschenden Bremsen hinter einer Reihe Limousinen und ihren Aufpassern zum Stehen kamen. Drahtige junge Männer in Nerzmützen, Rollkragenpullovern und Cowboystiefeln traten aus einer Haustür. Einer trug eine Maschinenpistole und hatte ein Goldkettchen ums Handgelenk. Magomed stellte ihm eine Frage, wartete und erhielt eine nachdenkliche Antwort. Er blickte bedächtig die Straße auf und ab, dann nahm er mich leicht beim Ellbogen, so wie man einen Blinden führt. Magomed trat in eine Gasse zwischen zwei Lagerhäusern, die von T-Trägern auseinandergehalten wurden. Er ging breitbeinig, den mächtigen Brustkasten vorgewölbt, den Kopf nach hinten, die Hände steif in die Seiten gestemmt. Zwei oder drei junge Männer folgten uns.
Wir gingen unter einem Bogen durch, stiegen eine steile Steintreppe hinunter und gelangten zu einer roten Eisentür mit Kutschenbeschlägen und einer Schottleuchte darüber. Er hämmerte ein Klopfzeichen an die Tür, und wir warteten, während uns der Regen in den Kragen lief. Als die Tür aufging, schlug uns eine Wolke Zigarettenrauch entgegen. Ich hörte Rockmusik und sah eine blaßviolette Backsteinmauer, an der die weißen Gesichter von Magomeds toten Freunden hingen. Das Violett wurde zu Orange, und nun erkannte ich unter den Gesichtern dunkel gekleidete Körper, die schimmernde Waffen in den kampfbereiten harten Händen hielten. Ich stand einem Trupp von sieben oder acht Bewaffneten in kugelsicheren Westen gegenüber. An ihren Gürteln hingen Handgranaten. Die Tür schloß sich hinter mir. Magomed und seine Freunde waren gegangen. Zwei Männer führten mich durch einen blutrot gestrichenen Flur zu einem abgedunkelten Beobachtungsbalkon, von dem man durch geschwärztes Glas auf die Reichen von Moskau hinabsah, die lässig in den feudalen Nischen eines Nachtclubs saßen. Dazwischen bewegten sich träge Kellner, einige Paare tanzten. Auf abgeschnittenen Säulen drehten sich nackte Go-go-Girls gedankenlos zum Rhythmus von Rockmusik. Die Atmosphäre war ungefähr so erotisch und angespannt wie in der Wartehalle eines Flughafens. Um eine Ecke gelangte man von dem Balkon in einen Vorführraum, der auch als Büro diente. An der Wand war neben Kisten mit Munition und Handgranaten eine Pyramide aus Kalaschnikows aufgebaut. Zwei junge Männer standen an dem Beobachtungsfenster, ein dritter hatte ein Handy am Ohr und blickte auf eine Reihe von Monitoren, auf denen die Gasse, die parkenden Limousinen, die Steintreppe und der Eingangsbereich zu sehen waren.
Hinten in einer Ecke war ein kahlköpfiger Mann in Unterhemd und Unterhose mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt. Er kauerte vornüber gesunken in einer Blutlache. An einem Schreibtisch keinen Meter von ihm entfernt saß in braunem Anzug ein korpulenter kleiner Mann, der emsig Hundertdollarscheine durch einen elektronischen Geldzähler laufen ließ und die Ergebnisse auf einem
Weitere Kostenlose Bücher