Unser Spiel
hölzernen Abakus addierte. Beim Zählen schüttelte er gelegentlich den Kopf oder schob die Brille nach vorn und spähte über den Rand in ein Hauptbuch. Manchmal unterbrach er sich, um gewichtig einen großen Schluck Kaffee zu trinken.
Und mitten im Raum stand wie ein Herrscher ein sehr athletischer Mann von etwa vierzig Jahren, der jeden Winkel mit festem, ausdruckslosem Blick überwachte; er trug einen dunkelgrünen Blazer mit goldenen Knöpfen, an jedem Finger einen goldenen Ring und am Handgelenk eine goldene Rolex mit Diamanten und kleinen Rubinen. Er hatte ein breites Gesicht und breite Schultern, und mir fielen seine kräftigen Nackenmuskeln auf.
»Sind Sie Colin Bairstow, den man Timothy nennt?« fragte er in dem Englisch, das ich schon vom Telefon her kannte.
»Und Sie sind Issa«, antwortete ich.
Er murmelte einen Befehl. Der Mann rechts von mir legte mir die Hände auf die Schultern. Ein zweiter stellte sich hinter mich. Vier Handflächen tasteten meinen Oberkörper ab, vorne und hinten, meinen Schritt, Ober- und Unterschenkel. Sie zogen mir die Brieftasche aus der Innentasche des Jacketts und reichten sie Issa, der sie mit den Fingerspitzen nahm, als wäre sie etwas Unreines. Ich bemerkte seine Manschettenknöpfe: groß wie alte Pennies, auf denen anscheinend Wölfe eingraviert waren. Nach der Brieftasche gaben sie ihm meinen Füllfederhalter, mein Taschentuch, den Zimmerschlüssel, den Hotelausweis und das Kleingeld. Issa legte die Sachen pedantisch in eine braune Pappschachtel.
»Wo ist Ihr Paß?«
»Den behält das Hotel, wenn man sich anmeldet.«
»Bleiben Sie so stehen.«
Er zog eine kleine Kamera aus der Tasche seiner Uniformjacke und richtete sie aus einem Meter Entfernung auf mich. Es blitzte zweimal. Er umkreiste mich mit langsamen, besitzergreifenden Schritten. Er fotografierte mich von beiden Seiten, drehte den Film zurück, schüttelte ihn aus der Kamera und gab ihn einem Wächter, der damit aus dem Zimmer eilte. Der Mann auf dem Stuhl gab einen erstickten Schrei von sich, legte den Kopf zurück und begann aus der Nase zu bluten. Issa murmelte einen weiteren Befehl, zwei junge Männer schlossen die Handschellen auf und führten den Mann den Korridor hinunter. Der Büttel im braunen Anzug schob noch immer Hundertdollarscheine in seine Maschine und registrierte die Summen auf dem Abakus.
»Nehmen Sie Platz.«
Issa setzte sich an den Schreibtisch. Ich setzte mich ihm gegenüber. Er angelte ein Stück Papier aus seiner Tasche und faltete es auseinander. Dann baute er einen Taschenrekorder zwischen uns auf, was mich an Luck und Bryant auf der Polizeiwache erinnerte. Er hatte große, geschickte und seltsam elegante Hände.
»Wie lautet der vollständige Name des Mannes, den Sie Mischa nennen?«
»Dr. Lawrence Pettifer.«
»Was hat er für Begabungen?«
»Pardon?«
»Seine Fähigkeiten. Seine Fertigkeiten. Ist ›Begabungen‹ nicht richtig?«
»Doch doch. Ich habe Sie bloß nicht gleich verstanden. Sein Forschungsgebiet sind Revolutionen. Er ist ein Freund kleiner Nationen. Ein Sprachwissenschaftler. Wie Sie.«
»Was ist dieser Mann sonst noch, bitte?«
»Ehemaliger Agent des KGB, in Wirklichkeit aber Agent des britischen Geheimdienstes.«
»Wie ist die offizielle Einschätzung dieses Mannes in Großbritannien?«
»Er ist geflohen. Die Briten haben ihn im Verdacht, der russischen Botschaft einen enormen Geldbetrag gestohlen zu haben. Auch die Russen haben diesen Verdacht. Sie haben recht. Er hat es getan.«
Issa studierte den Zettel, hielt ihn aber so, daß ich ihn nicht sehen konnte. »Wann haben Sie diesen Mischa zum letzten Mal gesehen?«
»Am achtzehnten September dieses Jahres.«
»Schildern Sie die Umstände dieser Begegnung.«
»Es war nachts. In einem Dorf namens Priddy, in den Mendip Hills in Somerset. Wir waren allein.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über private Dinge.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
Russische Bürokraten haben eine spezielle Art, jemanden anzufauchen, was ich selbst gelegentlich mit gutem Erfolg angewendet hatte, und unklugerweise versuchte ich es auch jetzt damit:
»Reden Sie nicht mit mir, als ob ich ein Bauer wäre. Wenn ich sage, es war privat, dann war es auch privat.«
Ich war in der Schule geschlagen worden, viel zu oft. Ich war von Frauen geschlagen worden, hatte ihnen allerdings nie eine zweite Chance dazu gegeben. Ich war Boxer gewesen. Aber die zwei Schläge, die Issa mir über den Schreibtisch hinweg verpaßte,
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