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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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ursprünglich für Frischluft sorgen sollten, waren vor langer Zeit zugeschraubt worden. Als ich auf ein von Ratten zernagtes Sprungpferd kletterte und die Gitter untersuchte, stellte ich fest, daß die Eisenrahmen vom Rost zusammengeschmiedet waren. Am ersten Tag war der Gestank meiner Zelle unerträglich, am zweiten Tag störte er mich etwas weniger, und am dritten war er verschwunden: jetzt war ich selbst ein Teil des Gestanks geworden. Aber von oben kamen Gerüche, die ein wahres Fest für meine Sinne waren: Das ging von Sonnenblumenöl, Knoblauch und Zwiebeln über Lammbraten und Brathähnchen bis zu dem umfassenden Mief, den große Familien in winzigen Zimmern erzeugen.
    * **
    »Bashir Haji!«
    Ich fuhr schaudernd aus dem Schlaf, als meine Wächter in tiefster Nacht verwundert oder ängstlich diesen Namen riefen.
    Erst hatte ihr Feldtelefon geläutet. Dann dieser gequälte oder begeisterte Aufschrei.
    Feierten sie ihn?
    Bekannten sie ihren Glauben an ihn, riefen sie seinen Namen in die Berge hinauf? Bedachten sie ihn mit Flüchen? Trauerten sie um ihn?
    Ich lag wach und wartete auf den nächsten Akt. Es kam aber nichts. Ich schlief wieder ein.
    * **
    Ein Gefangener der Inguschen mag einsam sein, aber allein ist er nie.
    Ich kinderloser Mann war von Kindern belagert. Sie liefen über meinem Kopf, sprangen darauf herum, schlugen ihn, lachten ihn aus und schrien ihn an, und ihre Mütter wiederum schrien sie an. Ab und zu folgte einer lauten Ohrfeige eine erbitterte, atemlose Stille, dann ging das Schreien weiter. Ich hörte Hunde jaulen, aber nur von außerhalb des Gebäudes. Während ich mich danach sehnte, hinausgelassen zu werden, verlangten die Hunde eingelassen zu werden. Katzen hörte ich von überall. Ich hörte das wichtigtuerische Dröhnen von Fernsehern, die den ganzen Tag liefen. Ich hörte eine russisch synchronisierte mexikanische Seifenoper, die von einer wichtigen Meldung unterbrochen wurde, in der es um den Zusammenbruch eines weiteren Geldinstituts ging. Ich hörte klatschende Geräusche, wenn Wäsche gewaschen wurde, und heftige Stimmen wütender Männer, betrunkener Männer und aufgebrachter Frauen. Ich hörte Weinen.
    Und ich hörte billige russische Discomusik und geistlosen amerikanischen Rock, und zwischendurch immer wieder intensivere Töne, die mir wesentlich angenehmer waren: ein langsames, weiches, rhythmisches Trommeln, das nachdrücklich und eindringlich mahnte, aufzustehen, dem Tag zu begegnen, mich anzustrengen und durchzuhalten. Und ich wußte, es war Emmas Art von Musik, Musik aus den heimatlichen Tälern und Bergen der Verbannten, die diesen Klängen lauschten. Und nachts, wenn die meisten dieser Geräusche schliefen, hörte ich das ständige Hin und Her von Gesprächen am Lagerfeuer, so alt wie das Meer.
    So hatte ich in jeder Hinsicht den Eindruck, mich einem Leben im Untergrund angeschlossen zu haben, denn meine Gastgeber waren selbst verachtet und fern der Heimat, und ich war zwar ihr Gefangener, doch wurden mir auch die Privilegien eines Ehrengastes zuteil. Wenn die Wächter, Finger auf den Lippen, um mir Schweigen zu gebieten, mich einmal täglich zum Waschen brachten, wenn sie mich mit finsteren Mienen durchs Innere des Gebäudes zu dem winzigen Waschraum mit den frisch zerrissenen Stücken unverständlicher Zeitungen führten, kam ich mir wie ihr Komplize und ihr Schützling vor.
    * **
    Ich höre Pettifer über die Angst reden. Es ist kein langatmiger Vortrag, und erst recht keins seiner sonntäglichen Seminare. Wir sind in einem Hotel in Houston, Texas, und er hat gerade zehn Tage in einem kubanischen Gefängnis hinter sich; angeblich hatte man Drogen bei ihm gefunden, in Wirklichkeit aber, vermutet er, sollte der Geheimpolizei damit Gelegenheit gegeben werden, ihn gründlich unter die Lupe zu nehmen. Zunächst einmal ließen sie ihn nicht schlafen. Dann bekam er eine Nacht und einen Tag lang kein Wasser. Dann fesselten sie ihn mit gespreizten Armen und Beinen an eine Wand und wollten ihn zu dem Geständnis bringen, daß er ein amerikanischer Spion war.
    »Als ich erst einmal in Fahrt war, ging es richtig toll«, versichert mir Larry; er sitzt lässig am Pool des Hotels, mustert die vorbeikommenden Bikinis und saugt am Strohhalm seiner Piña colada. »Ich habe ihnen gesagt, von allen Beleidigungen, die sie einem englischen Gentleman an den Kopf werfen könnten, sei der Vorwurf, für die Yankees zu spionieren, der primitivste. Das sei noch schlimmer, als wenn sie

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