Unser Spiel
und verlangte Auskunft von mir: zum Beispiel über die zahlenmäßige Stärke unserer Gemeinde, Höhe und Verwendung unserer Kollekten und die Namen unserer Gastprediger. In einem anderen Leben hätte ich seine Legitimation angezweifelt, denn er fragte mich auch, ob ich Freimaurer sei; aber als er endlich weg war, hatte ich entschieden, daß meine Tage als Retter von St. James the Less vorüber waren. Der Bischof stimmte mit Freuden zu.
Aber ich ließ den mir anvertrauten Besitz nicht im Stich. Irgendwo steckt ein Butler in mir, und sehr bald entdeckte ich, wie wohltuend und befriedigend es war, in der Stille meiner siebenhundert Jahre alten Privatkirche Steinfliesen blank zu scheuern, Kirchenbänke abzustauben und Messingkerzenhalter zu polieren. Doch inzwischen hatte ich andere Gründe, damit weiterzumachen: Vom geistlichen Trost einmal abgesehen, stellte der heilige James mir ein sicheres Haus zur Verfügung, wie ich es mir sicherer nie hätte träumen lassen.
Ich rede nicht von der Marienkapelle mit der wurmzerfressenen Täfelung, die sich so gelockert hat, daß man ein komplettes Archiv dahinter verschwinden lassen könnte; auch nicht von den geräumigen Kellergewölben, wo die zerbröckelnden Grabsteine der Bauernäbte jede Menge natürlicher toter Briefkästen bieten. Ich rede von dem Turm; von einem geheimen, fensterlosen sechseckigen Raum: Der Weg dorthin führt durch einen Soutanenschrank in der Sakristei, von wo man über eine enge Wendeltreppe zu einer zweiten Tür gelangt, die, wie ich wirklich glaube, seit Jahrhunderten von keiner Menschenseele benutzt wurde, bis ich, nachdem mir die Diskrepanz zwischen den äußeren und inneren Maßen des Turms zu denken gegeben hatte, zufällig darauf gestoßen war.
Ich sage fensterlos, aber welcher geniale Geist auch immer mein Geheimgemach ersonnen hatte – ob als Zufluchtsort oder als Liebesnest –, hatte nicht weniger genial für schmale horizontale Bogenscharten oben in der Wand gesorgt, und zwar an allen Stellen, wo die Deckenbalken das hölzerne Vordach stützen, das um den Turm herumläuft. So daß ich, wenn ich mich aufrichtete und von einer Bogenscharte zur anderen ging, einen ausgezeichneten Rundblick auf den heranrückenden Feind hatte.
Und das Licht hatte ich ein dutzendmal überprüft. Nach Einbau einer primitiven elektrischen Beleuchtung war ich aufmerksam, in weiten und engen Kreisen, um die Kirche herumgegangen. Nur wenn ich mich direkt an den Turm drückte und den Kopf reckte, konnte ich an der Unterseite des Vordachs einen ganz schwachen Widerschein ausmachen.
Ich habe mein Versteck so genau beschrieben, weil es für mein heimliches Leben überaus wichtig ist. Niemand, der kein verborgenes Leben geführt hat, vermag nachzuvollziehen, wie süchtig das machen kann. Niemand, der sich aus der Welt der Geheimdienste zurückgezogen hat, oder vor dem sie sich zurückgezogen hat, kann sich jemals von den Entzugserscheinungen erholen. Die Sehnsucht nach dem heimlichen Leben, sei es religiöser oder geheimdienstlicher Art, wird zuweilen unerträglich. Immer wieder träumt man davon, die geheime Stille möge einen wieder in die Arme schließen.
Und so war es bei mir jedesmal, wenn ich das Versteck betrat und wieder einmal meinen kleinen Schatz an Andenken betrachtete: die Terminkalender, die ich nicht hätte aufbewahren dürfen, aber, da ich es nun einmal getan hatte, weiter aufbewahrte; alte Berichtsbögen, ungeschminkte Operationsprotokolle, Notizen, die in verschwörerischem Gleichmut niedergeschrieben worden waren, unzensierte Tonbandaufnahmen von Einsatzbesprechungen, einige komplette Akten, deren Vernichtung die Obere Etage angeordnet hatte und von mir auch bestätigt worden war – nur um dann in meinem Privatarchiv zu verschwinden, teils zur Belehrung der Nachwelt, teils aber auch als private Versicherung gegen die schlechten Zeiten, vor denen ich mich immer gefürchtet hatte und die jetzt gekommen waren: wenn irgendeine Fehleinschätzung auf seiten meiner Arbeitgeber oder irgendeine Dummheit meinerseits Dinge, die ich in aller Rechtschaffenheit gesagt oder getan hatte, nachträglich in ein schiefes Licht rücken würden.
Und schließlich hatte ich hier außer meinen Papieren auch noch meine persönliche Fluchtausrüstung, für den Fall, daß nichts, nicht einmal Schriftliches, mir mehr helfen konnte: meine zweite Identität auf den Namen Bairstow, bestehend aus Paß, Kreditkarte und Führerschein, die für eine später abgebrochene Operation
Weitere Kostenlose Bücher