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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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nicht los. Wissen tötet nicht, habe ich vor zwanzig Jahren jedem gepredigt, der mir zuhören wollte: wohl aber Nichtwissen.
    * **
    Als alles für meinen nächsten Besuch vorbereitet war, schob ich meinen müden Körper die Wendeltreppe zum Soutanenschrank hinunter. In der Sakristei stieg ich in einen Overall und nahm Besen, Staubtuch und Bohnermaschine. So ausgestattet, trat ich in den Mittelgang, wo ich vor dem Altar stehenblieb und trickreich, wie wir Agnostiker nun einmal sind, dem Schöpfer, an den zu glauben ich nicht über mich bringen konnte, unbeholfen Dank und Anerkennung zollte. Als das erledigt war, begann ich mit den Reinigungsarbeiten, denn meine Tarnung vernachlässigte ich nie.
    Als erstes staubte ich die mittelalterlichen Kirchenbänke ab, dann wischte ich den Boden und setzte, zum Verdruß einer Fledermausfamilie, abschließend auch noch die Bohnermaschine ein. Eine halbe Stunde später wagte ich mich im Overall, als zusätzliches Zeugnis meiner Tätigkeit den Besen in der Hand, ans Tageslicht. Die Sonne war hinter einer blauschwarzen Wolkenbank verschwunden. Verwaschene Regenstriemen hingen über den kahlen Hügeln. Mir blieb das Herz stehen. Ich starrte den Hügel an, den wir Beacon nennen. Es ist der höchste der sechs. Sein Umriß ist mit behauenen Steinen und Erdbuckeln übersät, bei denen es sich um die Reste einer vorzeitlichen Begräbnisstätte handeln soll. Zwischen diesen Steinen stand, schwarz ausgeschnitten vor dem brodelnden Horizont, die Silhouette eines Mannes; sein langer Mantel oder Regenmantel hatte anscheinend keine Knöpfe, denn er flatterte und bauschte sich in den heftigen Windstößen, obwohl der Mann die Hände tief in den Taschen hatte.
    Der Mann hatte den Kopf von mir weggedreht, als hätte ich ihn gerade mit dem Griff eines 38er Revolvers geschlagen. Er hatte den linken Fuß nach außen gestellt, eine merkwürdige, von Napoleon abgeschaute Haltung, die Larry gerne einnahm. Er trug eine flache Mütze; ich konnte mich zwar nicht erinnern, Larry jemals mit einer Mütze gesehen zu haben, aber das hatte nichts zu bedeuten, denn er vergaß andauernd seine Hüte in irgendwelchen Häusern und nahm sich dann andere, die ihm gefielen. Ich versuchte zu schreien, aber ich brachte keinen Ton heraus. Ich machte den Mund auf, ich wollte »Larry!« rufen, aber meine Zunge schaffte nicht einmal das L. Komm zurück, bat ich ihn stumm, komm da runter! Laß uns noch mal von vorne anfangen, laß uns Freunde sein, keine Rivalen.
    Ich machte einen Schritt nach vorn, und noch einen. Ich nehme an, ich wollte wie damals in Priddy auf ihn losstürmen, über die Mauern springen, die Steigung ignorieren und brüllen: »Larry, Larry, alles in Ordnung mit dir?« Aber wie Larry mir immer gesagt hat, bin ich kein besonders spontaner Typ. Also stellte ich bloß den Besen ab, wölbte die Hände vorm Mund und schrie etwas wie: »Hallo, bist du das da oben?«
    Oder vielleicht hatte ich inzwischen erkannt, daß meine Worte zum zweitenmal innerhalb von zwei Tagen an den unliebenswürdigen Andreas Munslow gerichtet waren, den früheren Mitarbeiter meiner Abteilung und jetzigen Vollzeithüter meines Ausweises.
    »Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?« schrie ich ihn an. »Was fällt Ihnen ein, mir nachzuschnüffeln? Verschwinden Sie. Auf der Stelle!«
    Er sprang, geschickt wie eine Spinne, in großen Sätzen den Hügel hinunter auf mich zu. Bis dahin war mir nie aufgefallen, wie behende er war.
    »Tag, Tim«, sagte er, und es klang längst nicht mehr so respektvoll wie noch einen Tag zuvor. »Bißchen für Gott saubergemacht?« fragte er und musterte den Besen, dann mich. »Rasieren Sie sich nicht mehr?«
    »Was haben Sie hier zu suchen?«
    »Ich passe auf Sie auf, Tim. Zu Ihrer Sicherheit und Beruhigung. Anweisung der Oberen Etage.«
    »Ich brauche keinen Aufpasser. Ich kann selbst auf mich aufpassen. Verschwinden Sie.«
    »Jake Merriman meint, Sie brauchen einen. Er meint, Sie führen ihn an der Nase herum. Ich habe Order von ihm, Sie zu überwachen. Ihnen eine Glocke an den Arsch zu hängen, wie er es ausgedrückt hat. Ich bin in der ›Krone‹, Tag und Nacht.« Er hielt mir einen Zettel unter die Nase. »Die Nummer meinem Handy. Daniel Moore, Zimmer 3.« Er stach mir den Zeigefinger in die Brust. »Und hüten Sie sich, Cranmer. Passen Sie bloß auf. Ich habe Ihnen das von damals nicht vergessen. Das ist eine Warnung.«
    * **
    Im Salon wartete Emmas Geist auf mich. In der für sie typischen strengen

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