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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Haltung, die die Taille schmal und die Hüften breit macht, saß sie auf ihrem Spezialhocker vor dem Bechstein und dachte laut ihre Noten vor sich hin. Um mir eine Freude zu machen, hatte sie ihren ganzen antiken Schmuck angelegt. »Hast du mal wieder mit Larry geflirtet?« fragte sie durch die Musik hindurch.
     
    Aber ich war nicht in der Stimmung, mich auslachen zu lassen, am allerwenigsten von ihr.
    * **
    Der Abend senkte sich herab, aber ich war bereits ins schwarze Licht meiner Seele eingetreten. Das helle Tageslicht wäre keine Erlösung gewesen. Ich streifte durchs Haus, berührte Gegenstände, schlug Bücher auf und zu. Ich bereitete mir eine Mahlzeit und ließ sie ungegessen stehen. Ich legte eine Platte auf und hörte nicht hin. Ich schlief ein, und als ich aufwachte, träumte ich denselben Traum weiter, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Ich kehrte in mein Versteck zurück. Welcher Spur folgte ich, welchen Hinweisen? Ich stöberte im Schutt meiner Vergangenheit, suchte nach Bruchstücken der zerstörerischen Bombe. Mehr als einmal stand ich verzweifelt von meinem behelfsmäßigen Tisch auf, stellte mich vor den zerlumpten Vorhang aus alten Kriegszeiten, und meine Hand war bereit, die selbsterrichtete Schranke vor dem verbotenen Emma-Territorium wegzureißen. Aber jedesmal hielt ich mich zurück.

6
    »Das Übliche, oder, Mr. Cranmer?«
    »Bitte sehr, Tom.«
    »Hab ich recht, Sie gehen doch bald in Pension?«
    »Danke der Nachfrage, Tom, aber damit hat es noch ein paar Jahre Zeit, und ich bin froh darüber.«
    Lachen, in das ich einstimme, denn diesen schlechten Witz machen wir an jedem zweiten Freitag des Monats, wenn ich meine Fahrkarte nach Paddington kaufe und mich zu den Londoner Anzügen auf den Bahnsteig stelle. Und wäre dies ein normaler Freitag gewesen, hätte ich jetzt bestimmt ein bißchen geträumt und mir vorgestellt, ich sei noch immer im Dienst. Und Emma hätte mir in den guten Zeiten schelmisch die Krawatte gerichtet, die Jackettaufschläge glattgestrichen und mir einen schönen Tag im Büro gewünscht, Darling, bevor sie mir einen letzten, köstlichen, schandhaft aufreizenden Kuß gegeben hätte. Und in den schlechten Zeiten hätte sie meine Abfahrt im Schutz ihres Dachfensters beobachtet, offenbar ohne zu merken, daß auch ich sie im Seitenspiegel meines Sunbeam beobachtete, denn ich wußte, ich ließ sie den ganzen Tag allein zurück, mit Schreibmaschine und Telefon und Larry, der nur dreißig Meilen weit weg wohnte.
    Aber an diesem Morgen spürte ich nicht Emmas dilettantischen Blick im Nacken, sondern das Prickeln professioneller Observation. Ich unterhielt mich über alltägliche Dinge mit einem einsamen Baronet, den wir hier in der Gegend den armen Percy nennen, weil er, nachdem er eine florierende Maschinenbaufirma geerbt und in den Bankrott geführt hatte, nun gegen Provision Lebensversicherungen verkaufen mußte, und sah dabei, wie Tom, der Fahrkartenverkäufer, sich hinter dem Schalterfenster vorsichtig zum Telefon umdrehte und mit dem Rücken zu mir hineinsprach. Als der Zug aus dem Bahnhof fuhr, entdeckte ich auf dem Parkplatz einen Mann in Schlägermütze und Regenmantel, der eifrig einer Frau ein paar Plätze vor mir zuwinkte, die und ihn überhaupt nicht beachtete. Es war derselbe Mann, der mir seit der Kreuzung am Ende meines Feldwegs in einem Lieferwagen mit Bedforder Kennzeichen gefolgt war.
    Aufs Geratewohl ordnete ich Tom der Polizei zu und den Regenmantel mit Mütze Munslow. Viel Glück, Leute, dachte ich. Teilt allen verfolgenden Parteien mit, daß Tim Cranmer auch an diesem Freitag seine Pflicht tut und wieder einmal seinen gewohnten Geschäften nachgeht.
    Ich trug meinen blauen Nadelstreifenanzug. Ich kann nichts dagegen machen, ich verkleide mich für die Leute. Will ich den Pfarrer besuchen, ziehe ich einen Tweedanzug an; gehe ich zum Kricket, trage ich Blazer und sportliche Krawatte. Und wenn ich, nachdem ich vier alptraumhafte Tage lang in meinem Kopf eingekerkert war, an der zweimonatlichen Versammlung des Kuratoriums der Charles Lavender Stadt- und Land-Stiftung für Wales unter Federführung der Pringle Brothers AG in der Threadneedle Street teilnehme, kann ich nichts dagegen machen, daß ich ein wenig wie ein Banker aussehe, wenn ich den Zug besteige, die Wirtschaftsseiten meiner Zeitung studiere, vor Brunels prächtigen Bögen in den Wagen steige, der mich dort samt Chauffeur erwartet, Pringles livriertem Pförtner einen guten Morgen wünsche und in

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