Unser Spiel
auf dem Damm? Oder hat er immer noch ein Gesicht wie ein Regenbogen?«
Aber ein gewisser Argwohn hielt sie von weiteren Vertraulichkeiten ab. »Also was wollen Sie hier?« fragte sie mürrisch.
»Ich soll den beiden was holen. Sallys Schreibmaschine. Noch ein paar Kleider. Praktisch alles, was ich tragen kann.«
»Sie sind also kein Schuldeneintreiber?«
»Du liebe Zeit, nein!« Ich lachte und ging ein paar Schritte auf sie zu, damit sie sehen konnte, was für ein vertrauenswürdiger Mensch ich war. »Ich bin sein Bruder. Richard. Genannt Dick, der Ehrbare. Die beiden haben mich angerufen. Ob ich ihnen ein paar Sachen einpacken könnte. Nach London bringen. Er hat einen Unfall gehabt. Die Treppe runtergefallen, hat er gesagt. Der Ärmste, hat aber auch immer Pech. Konnten die beiden wenigstens zusammen abreisen? Das muß ja ziemlich überstürzt gewesen sein.«
»Hier gib’s keine Unfälle, Darling. Nur vorsätzliche Handlungen.« Sie kicherte über ihren Einfall. Ich lachte tüchtig mit. »Er ist vorgefahren, sie hinterher. Warum, weiß ich nicht.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas, ließ mich aber nicht aus den Augen. »Irgendwie gefällt es mir nicht, daß Sie da reinwollen. Nicht, solange die beiden in Frankreich sind. Das beunruhigt mich.«
Sie trat in ihr Haus zurück und knallte die Tür zu. Gleich darauf zerriß ein dumpfes Krachen wie von einer Übungsgranate die Stille: Im oberen Stockwerk war ein Fenster aufgegangen, und ein haariger Mensch im Unterhemd streckte seinen breiten Schädel heraus.
»Sie da! Kommen Sie mal her! Sie sind also Terrys Bruder?«
»Ja.«
»Dick. Richtig?«
»Ganz recht.«
»Und Sie kennen ihn gut?«
»So ziemlich.«
»Und was ist dann seine Lieblingsfußballmannschaft, Dick?«
»Dynamo Moskau«, sagte ich, ohne lange nachzudenken, denn Fußball war eine von Larrys vielen ungereimten Leidenschaften. »Und Lew Jaschin war der größte Torwart aller Zeiten. Und das beste Tor aller Zeiten hat Ponedelnik geschossen, 1960 beim Länderspiel Rußland-Jugoslawien.«
»Donnerwetter.«
Er verschwand, es gab eine kurze Pause; vermutlich besprach er sich mit Phoebe. Dann tauchte er grinsend wieder auf.
»Ich selbst bin ja Arsenal-Fan. Hat ihn aber nicht gestört. He. Wo hatte er eigentlich das blaue Auge her? Ich habe schon einige Veilchen gesehen, aber seins war ja das reinste Blumenbeet. ›Was ist denn passiert?‹ frage ich ihn. ›Hat sie zu früh die Beine zugemacht?‹ Bin in eine Tür gelaufen, sagt er. Dann kommt Sally dazu und sagt, es war ein Autounfall. Heutzutage weiß man gar nicht mehr, wem man noch glauben soll. Kann ich Ihnen helfen?«
»Später vielleicht. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«
»Wilf ist mein Name. Er ist ein verrückter Hund, aber ich mag ihn.«
Das Fenster wurde zugeknallt.
***
Ich schloß die Eingangstür hinter mir und stieg über die Briefe auf dem Boden. In einer Anwandlung von sinnlosem Optimismus drückte ich auf den Lichtschalter, aber es tat sich nichts. Dumm wie ich war, hatte ich keine Taschenlampe dabei. Ich stand im Halbdunkel und wagte nicht zu atmen. Die Stille machte mir angst. Bristol ist evakuiert. Nichts wie weg, oder ihr seid alle tot. Wieder Schweiß, diesmal ölig kalt. Ich atmete aus, dann langsam wieder ein und roch ein altes, ein altersschwaches Haus. Ich sah mich um, versuchte mehr Licht in die Augen zu bekommen. Es gab nur das von der Straßenlaterne. Aber deren Schein fiel nur auf das Erkerfenster, nicht hindurch. Um mehr sehen zu können, mußten meine Augen das Licht im Erker aufsammeln und hastig damit durchs Zimmer eilen, wie wenn man Wasser in den gewölbten Händen trägt.
Ihr Klavierhocker, unversehrt. Ich strich mit der Hand darüber: die Leichtmetallrohre, die sich wie bei einer gewinkelten Leselampe auswärts und wieder einwärts bogen und ihr die gepolsterte Stütze ins Kreuz drückten. Ihre elektrische Reiseschreibmaschine. Sie stand auf einem Tisch, aber den konnte ich vor lauter Papieren kaum sehen, und diese wiederum konnte ich vor lauter Staub kaum sehen. Dann erblickte ich einen zweiten Tisch, nur daß es kein Tisch war, sondern ein Teewagen, und auf dem Teewagen stand ein Digitaltelefon, an das ein Anrufbeantworter angeschlossen war: eine typische Pettifer-Konstruktion aus Verlängerungskabeln und Antennendrähten und Klebebändern, von denen er umsichtig Gebrauch gemacht hatte. Aber kein Lämpchen glühte an dem Gerät, denn es kam kein Strom aus der Steckdose.
Das Zimmer wurde
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