Unser Spiel
wobei mich die Frage quälte, ob er überhaupt anspringen würde. Ich stellte bizarre Berechnungen an, wie lange es dauern würde, den Wagen auf den höchsten Punkt der Straße zu schieben, damit ich von dort zum Bahnhof hinunterrollen und, falls er dann immer noch nicht angesprungen war, meinen neuen Besitz in ein Taxi verfrachten konnte.
Mein Mut hatte mich fast verlassen, als ich ins Haus zurückging, um den Rest der Ladung zu holen: Larrys Wetterhaut-Regenmantel, den ich als eindeutigen Beweis für sein Überleben zu brauchen schien, und meine vier Müllbeutel, die ich am Kragen trug und rings um die Schreibmaschine verstaute, bis auf den einen mit dem verbrannten Papier, den ich mit Rücksicht auf den empfindlichen Inhalt auf den Beifahrersitz legte. Und dann wollte ich nur noch eins: einsteigen und mich und meine Schätze in Sicherheit bringen. Aber Phoebe und Wilf machten mir Sorgen. Während des Einbruchs waren sie in meiner Phantasie zu Hauptdarstellern geworden. Ich war dankbar, daß sie mich akzeptiert hatten, mußte mich aber vergewissern, daß ich auch wirklich alles getan hatte, mir ihre gute Meinung, insbesondere die von Phoebe, die mir mißtraute, nicht zu verscherzen. Ich wollte nicht, daß sie die Polizei anriefen. Sie sollten ganz beruhigt sein.
Also ging ich durch den Nebeneingang ins Haus zurück, schob oben und unten die Riegel vor, hängte die Sperrkette ein und durchquerte das Wohnzimmer, wobei ich wieder an Emmas Klavierhocker vorbeikam. Ich verließ das Haus durch die Vordertür und schloß sie zweimal ab, so wie ich sie vorgefunden hatte. Dann stand ich vor dem Nachbarhaus und rief zum oberen Fenster hinauf:
»Danke, Wilf. Auftrag ausgeführt. Alles erledigt.«
Keine Antwort. Längere zwanzig Meter als die Strecke von der Haustür 9A bis zu dem blauen Toyota habe ich wohl nie in meinem Leben zurückgelegt, und ich hatte erst die Hälfte hinter mir, als ich merkte, daß mir jemand nachschlich. Erst dachte ich, es sei Larry, oder Munslow, denn mein Verfolger war so leise, daß nicht so sehr mein Gehör als vielmehr andere professionelle Sinnesorgane seine Anwesenheit wahrnahmen: ein Prickeln im Rücken; irgendein Widerschein in der Luft vor mir, der von jemandem hinter mir stammte; das Gefühl, daß da jemand ist, wenn man zur Kontrolle in ein Schaufenster blickt und niemanden sieht.
Ich bückte mich und schloß den Wagen auf. Ich sah mich um, aber da war nichts. Ich richtete mich auf, fuhr herum, hob schlagbereit den Arm und stand plötzlich dem kleinen Schwarzen von der Ocean Fish Bar gegenüber, der zu schüchtern gewesen war, mit mir zu sprechen.
»Warum bist du nicht im Bett?« fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf.
»Nicht müde?«
Er schüttelte wieder den Kopf. Nicht müde, oder kein Bett.
Unter seinen Blicken kletterte ich auf den Fahrersitz und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang beim ersten Mal an. Der Junge zeigte mit dem Daumen: Alles in Ordnung, und ehe ich mich bremsen konnte, hatte ich Colin Bairstows Brieftasche aus den schweißgetränkten Tiefen meiner Jacke gezogen und ihm einen Zehn-Pfund-Schein gegeben. Als ich dann losgefahren war, konnte ich meine unglaubliche Dummheit kaum fassen, denn schon klang mir in den Ohren, wie Inspektor Bryant sich aalglatt erkundigte, was denn wohl dieser freundliche weiße Gentleman mittleren Alters in dem blauen Toyota für sich zu kaufen glaubte, als er dir diesen Zehner durchs Fenster reichte, mein Sohn.
* **
Auf der Bristol-Seite der Mendips gibt es einen Hügel mit einer der weitesten und schönsten Aussichten Englands, tief unten kleine Felder und unverschandelte Dörfer und dahinter zwischen zwei Hügeln die Stadt. Es war eine der Stellen, die ich an sonnigen Abenden mit Emma aufsuchte, wenn wir Lust hatten, einfach zum Spaß durch die Gegend zu fahren. Im Frühjahr und im Sommer wimmelt es hier von jungen Liebespaaren. Auf den nahegelegenen Feldern spielen Väter mit ihren Kindern Fußball. Aber Ende Oktober, zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens, kann man ziemlich unbesorgt sein, nicht gestört zu werden.
Die Arme aufs Steuer gelegt, das Kinn in die Arme geschmiegt, saß ich in dem Toyota und starrte ins Treiben der Nacht. Über mir hingen Mond und Sterne. Gerüche von Tau und Herbstfeuern erfüllten den Wagen.
Im Licht der Innenbeleuchtung las ich die Botschaften der Liebenden, einen gelben Zettel nach dem anderen, in derselben Reihenfolge ans Armaturenbrett geklebt, wie ich sie von dem Bilderrahmen
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