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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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vor, Ihnen nächsten Mittwoch gegen Mittag einen meiner Überraschungsbesuche abzustatten. Laden Sie mich zum Mittagessen ein?
    Gruß
    David
     
    David Beringer, Ex-Mitarbeiter der Firma. Nie glücklicher gewesen als bei seiner Deaktivierung.
    Blieb ein letzter Umschlag. Braun. Schlechte Qualität. Getippt auf einer alten Reiseschreibmaschine. Poststempel Helsinki. Fest zugeklebt. Beziehungsweise, argwöhnte ich, neu zugeklebt. Innen ein Blatt Papier, liniert. Handgeschrieben, mit Tinte. Männerschrift. Kleckse. Datiert Moskau, vor sechs Tagen.
     
    Timothy, mein Freund,
    man macht mir das Leben zur ungerechten Hölle. Ich bin Gefangener im eigenen Haus, wegen nichts in Ungnade gefallen. Falls Sie Grund haben, nach Moskau zu kommen, oder falls Sie noch Kontakt haben zu Ihrem früheren Arbeitgeber, bitte helfen Sie mir und bringen meine Unterdrücker zu der Vernunft. Sie können mit Sergej Kontakt aufnehmen, er hilft mir auch diesen Brief abzuschicken. Rufen Sie ihn an, aber nur auf englisch , unter der Ihnen bekannten Nummer, und nennen Sie nur den Namen ihres alten Freundes und Sparringpartners:
    Peter
     
    Ich starrte den Brief noch lange an. Peter wie Wolodja Zorin. Peter wie am Telefon, um ein Treffen in Shepherd Market zu verabreden. Peter wie der Beginn einer Freundschaft, die man verleugnen mußte. Peter, das Opfer einer ungerechten Hölle, unter Hausarrest, gute Chance, im Morgengrauen erschossen zu werden: Willkommen im Club.
    Es war Sonntag, und an Sonntagen gab es, auch wenn nicht für Larry gekocht werden mußte, eine Menge zu tun, um den Schein zu wahren. Um elf Uhr kniete ich in meinem staubgrünen Anzug auf Onkel Bobs Betkissen und brummte die mittleren Töne bei der gesungenen Messe mit, was mir von Herzen zuwider ist. Mr. Guppy ging mit dem Klingelbeutel herum, und als der arme Alte ihn mir reichte, traute er sich nicht, den Blick zu heben. Nach der Kirche waren die Damen Bethel im Dower House an der Reihe, uns mit schlechtem Sherry und den neuesten alarmierenden Gerüchten über die Umgehungsstraße zu versorgen. Aber die war heute nicht von Interesse, und wir sprachen deshalb über gar nichts, wobei sie mir aber jedesmal, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, verstohlene Seitenblicke zuwarfen. Doch als ich im Schutz der Dunkelheit, meine Beute auf Ted Lanxons Handkarren, zu dem Turmversteck aufbrach, fühlte ich mich immer weniger als Herr im eigenen Hause, sondern eher wie ein Einbrecher, der dort einstieg.
    * **
    Ich stand vor dem Fetzen des alten Verdunkelungsvorhangs, den ich vor den Alkoven genagelt hatte. Selbst heute abend noch achtete ich Emmas Privatsphäre, so, wie sie es immer verlangt hatte. Ihr nachzuspionieren war ein Verstoß gegen Überzeugungen, die ich bis zu der Begegnung mit ihr nie gehabt hatte. Wenn ein Anruf für sie gekommen war und zufällig ich ihn entgegengenommen hatte, berichtete ich ihr kommentarlos davon und stellte keine Fragen. Oder ein Brief: Der lag unberührt auf dem Tisch im Flur, bis sie ihn zur Kenntnis zu nehmen geruhte. Ich stellte keine Überlegungen an über den Poststempel, das Geschlecht des Korrespondenten, die Qualität des Briefpapiers. Wenn die Versuchung unerträglich wurde – ich hatte Larrys Handschrift erkannt, oder eine andere Männerschrift wurde mir allmählich zu vertraut –, dann stapfte ich fröhlich nach oben, wedelte mit dem Umschlag herum, rief »Post für Emma! Post für Emma! Emma, Post für dich!«, schob ihn mit frommer Erleichterung unter der Tür ihres Studios durch, und weg war er.
    Bis jetzt.
    Bis ich nun, alles andere als Siegesfreude empfindend, den Vorhang zur Seite riß und die acht Weinkisten betrachtete, die ich an jenem Sonntag, als sie für immer gegangen war, blindlings mit dem Inhalt ihres Schreibtisch gefüllt hatte; und die namenlose hellbraune Mappe, die Merriman so lustig mein Bündel getauft hatte und die jetzt schräg auf den Kisten lag.
    Ich schlug die Mappe hastig auf, etwa so, wie ich es mir immer ausgemalt hatte, wenn ich Gift schlucken müßte. Fünf A4-Blätter ohne Überschrift, zusammengestellt von seinen Sheenas. Ohne mir auch nur die Zeit zu nehmen, mich hinzusetzen, las ich sie in einem Zug durch; dann las ich noch einmal, langsamer, und wartete auf die Erscheinung, die mich an der Kehle packen und mich anschreien würde: »Cranmer, Cranmer, wie konntest du nur so blind sein?«
    Es kam aber keine.
    Denn ich hatte keine billige Lehrbuchlösung für Emmas Geheimnis gefunden, sondern bloß die rührende

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