Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Phantasie-Englisch mit ihm sprechen. Ich sage panisch und deswegen wahrscheinlich ziemlich bestimmt: «Ich will das aber geändert haben. Das andere unterschreib ich nicht. Das mach ich nicht. Da kannste machen, was du willst. Mach ich nicht. Mach ich einfach nicht.» Der Verkäufer stimmt mit einem Lächeln und einem Augenrollen in Richtung seiner Kollegen zu, und dann, nach insgesamt fünfundvierzig Minuten im Handyladen, setze ich endlich meine Unterschrift unter das Formular. Ich bedanke mich, und noch beim Hinausgehen bin ich ein bisschen verwundert. Als ich zu Hause ankomme, hat sich die Verwunderung in ein anderes Gefühl verkehrt. Ich bin beleidigt. Der hätte mir auch gerne noch ein Handy andrehen können, denke ich, so anstrengend war ich nun auch … na gut, war ich schon. Aber trotzdem, es war vielleicht ein kleiner Vertrag für den Verkäufer, aber ich, ich habe da praktisch gerade meine Seele verkauft. Okay, denke ich, dann stell ich mich eben einer anderen Angst. Nämlich, etwas im Internet zu kaufen.
Ich erinnere mich an Online-Shop-Seiten, die meine Mitbewohner ständig besuchen, und klicke einfach mal fröhlich meinem Handy hinterher. Als ich fündig werde, gebe ich, ganz absicherungsapathisch, den Anbieter in der Suchmaschine ein und lese sowohl sein personenbezogenes als auch sein bisheriges Produkt-Ranking. Ich fühle mich wie der Verfassungsschutz. Wäre ich er, ich würde mich abschaffen. Bin ich aber nicht, und so schaffe ich mir einfach ein neues Mobiltelefon an.
Da es in der nächsten Woche geliefert werden soll, schreibe ich alle Nummern des digitalen Telefonbuchs in ein Notizbuch. Erscheint mir sinnvoll, und da ich im Organisieren schlecht und im Verlieren gut bin, ist das mal was ganz Neues. Ich tue etwas Vorausschauendes, ich werde anscheinend erwachsen, ich glaube, ich geh morgen zur Sparkasse und schließe einen Bausparvertrag ab. Und, weil’s so viel Spaß machen wird, auch gleich noch ’ne Lebensversicherung obendruff. Yeah. Absicherung, du dumme Lebenseinstellung, ich umarme dich quasi schon innigst.
Beim Abschreiben der ersten zwanzig Nummern bin ich noch voller Elan, das ist kein Problem, da kann ich nebenbei noch fernsehen. Die nächsten hundertfünfzig gehen an die Substanz. Ich werde ganz bekloppt von den Zahlen, muss sogar den Fernseher abstellen.
Zahlen mag ich nicht, die erinnern mich an Mathematik, und die hab ich vor dem Abitur schon abgewählt. Zahlen mit ’nem Plus vorne dran sind gut, die anderen beschissen, so lautet manchmal mein Motto, und bis jetzt hat das super funktioniert. Bei einigen Nummern freue ich mich allerdings, dass ich sie habe. Denn sie gehören zu Menschen, bei denen ich mich sehr dringend, weil schon ewig nicht mehr getan, melden sollte. Jetzt hab ich keine Ausrede mehr, und morgen, jaja, morgen ruf ich da mal an. Das Prinzip heißt schließlich Absicherung, und wenn mir mal was passiert oder ich in Schwierigkeiten bin, dann sorge ich jetzt vor, damit ich nicht immer nur meine Mutter, sondern auch mal andere Menschen mit meinem Scheiß belästigen kann. Also, morgen.
Drei Zahlenkombinationen werde ich nie mehr anwählen, denn sie gehören zu Leuten, mit denen ich keinen Kontakt mehr haben möchte. Ihre Nummern sind nur noch gespeichert, damit ich, falls sie mich wider Erwarten kontaktieren sollten,
nicht
rangehe.
Doch es gibt erstaunlicherweise auch Nummern, bei denen mir der Name nichts sagt. Obwohl ich einige mit so tollen Zusätzen wie Lena Waagenbau, Olaf Open Air oder Adii von Anja gekennzeichnet habe, erschließt sich mir kein hilfreicher Kontext. Wer sind die? Mein Mitbewohner Rocco rät mir, ich solle einfach mal anrufen und nachfragen. «Genau», sage ich, «und dann behaupte ich einfach, dass ich enttäuscht bin wegen der fehlenden Kommunikation. Oder gestehe meine Liebe oder sage wütend, dass ich jetzt ihre Nummer lösche.»
Ich nehme mir vor, meinen Sicherheitskokon zu verlassen und einfach mal etwas vollkommen Bescheuertes zu tun, nämlich mir unbekannte Menschen verbal zu überfahren. «Hallo?», fragt die Stimme am anderen Ende der Leitung, und ich antworte heulend, dass ich immer noch verliebt bin, frage, warum er oder sie sich nicht mehr gemeldet hat, dass ich seit zwei Jahren auf dieses Gespräch hoffe und nun nicht mehr darum herumkomme, weil Liebe und Zahlen einfach stärker sind als Angst. «Ich kenn dich nicht», sagt Lena Waagenbau. «Bist du noch ganz dicht?!», entgegnet Olaf Open Air. «Ach, voll schön, dass du
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