Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
betrunken oder happy oder beides oder auf LSD . Diese Künstler!
Ich verbuche den Abend als Kunst-Performance und fühle mich wie das halbe Fahrrad: montiert zu einem Bildnis, das irgendetwas aussagt, egal was, es passt immer, solange man ordentlich interpretiert. Es ist drei Uhr morgens, ich rauche Kette und höre den Tapes zu, Adii sagt, er müsse entweder schlafen oder sich noch mehr anhören, das sei so inspirierend. Ich sage, dass ich entweder gehe oder mir ein Taxi nach Hause nehme, beides fände ich so inspirierend. «Wow!», sagt er. «Voll interessant, so ein Nachhauseweg. Aber wir könnten auch noch an dem Fahrrad und an der Gummipuppe weiterarbeiten. Voll so: wir beide voll in der Mache und so.»
Ich küsse ihn zum Abschied auf die Wange. Wir werden von nun ab nie mehr küssen, wir werden Freunde, und ich helfe ihm in den nächsten Wochen mit seinem Projekt.
Danach bin ich mir sicher: Kunst ist nichts für mich.
Holger
«Holger!», grölt meine Mitbewohnerin Ann-Kathrin. «Hooollgggeerrr! Was ist das denn bitte für ein Name?» Ich weiß, denke ich, ich weiß. Das ist so ein Name, der nicht mal für ein Haustier gut ist. Ich kann mir noch weniger ein Baby vorstellen, das man im Arm hält und, wenn jemand fragt, wie denn der «kleine Mann» heißt, ganz stolz antwortet: «Das ist der Holger. Er kann auch schon alleine sitzen.» Holger ist auch kein Name für einen Zehnjährigen, außer man möchte, dass er definitiv in der Schule grundlos verprügelt und begeistertes Mitglied in der Schach- AG wird.
Als Teenager wird Holger Pickel haben, und seine Zahnspange wird er ewig tragen, weil sein Kiefer nicht so will wie die Eltern oder der Zahnarzt. Er wird weiter Schach spielen, das sehr gut sogar, aber nie wird ihn ein Elternteil neben der Garage finden, wo er mit jemandem rumknutscht oder kifft. Er wird brav sein. Er wird langweilig sein. «Er ist nicht langweilig!», rufe ich. Ann-Kathrin guckt mich fragend an, sie hat meine Kopfdiskussion natürlich nicht gehört, aber gedacht hat sie bestimmt etwas in der Art.
Holger hat mich in der U-Bahn angesprochen. Das war zwei Wochen nachdem ich Adii – wieder – kennengelernt und beschlossen hatte, dass das keine Affäre werden wird.
Ich würde nie jemanden in der U-Bahn ansprechen, da ist jeder nüchtern und das Licht grell, es gibt keine Überraschungen. Das finde ich jetzt jedoch ganz gut. Ich weiß genau, wie Holger im normalen Leben aussieht. Keine Scham nach einer Nacht, in der beide super aussahen und man sich am nächsten Morgen sicher ist, der andere wurde vertauscht. Wahrscheinlich wünschen sich die Eltern von Kindern, die man Holger genannt hat, aber genau das.
Wir haben dann einen Kaffee zusammen getrunken und kein Bier. Er hat mich am Bahnsteig verabschiedet, mit einem Kuss auf die Wange. Ich bin ganz verschüchtert gewesen, ich habe mich selbst nicht wiedererkannt. Seitdem haben wir uns zweimal getroffen, und ich empfinde es jetzt erst als aussagekräftig genug, um Ann-Kathrin davon zu berichten.
«Schön, dass er nicht langweilig ist. Und, wann trefft ihr euch das nächste Mal?», fragt Ann-Kathrin.
«Er hat mich vorhin angerufen und gefragt, ob wir essen gehen wollen. Wir treffen uns heute Abend», sage ich.
Drei Stunden später esse ich Pizza und trinke Wein. Es ist irgendwie ein bisschen kitschig und abgedroschen. Ich habe das Gefühl, dass das hier alles zu schön ist. Die Gespräche, das Essen, auch das Wetter. Und eben Holger. Ich frage mich, was da passiert sein muss, dass er meine Vorstellungen von seinem Namen und der damit einhergehenden Identität so vollkommen über den Haufen wirft. Nur eine Sache kann ich nicht. Ich kann ihn nicht mit seinem Namen ansprechen. Ich kann den noch nicht mal in einer SMS schreiben. Ich kann seinen Namen schon gar nicht beim Sex sagen. Ich hab’s ja versucht, aber ich fühle mich dann wie in einem BWL er-Porno. In einem schlechten BWL er-Porno. Würde ich Grimhild heißen, dann wären wir immerhin quitt. Ich sollte mich einfach Grimhild nennen, dann würde das passen. Holger und Grimhild. Grimhild und Holger. Die beiden Namensausrutscher klingen nach einer schwedischen Sage, in der es um Elfen und Trolle geht und am besten irgendwie noch um Vampire. Und eine Romeo-und-Julia-Problematik sollte auch darin verarbeitet sein: Die Trollfamilie von Grimhild hat etwas gegen das junge Glück, weil Holgers Familie aus allesamt durchgeknallten Vampir-Elfen besteht. Doch am Ende wird Holger Konzernchef bei
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