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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bente Varlemann
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meine Augen öffne. Ich würde am liebsten duschen gehen. Per sagt, er gehe jetzt baden. Während er im Badezimmer ist, ziehe ich mich an, nehme meine Sachen und mache leise die Wohnungstür hinter mir zu. Im Treppenhaus begegnet mir ein tropfender, in ein Handtuch gewickelter Per. Ich schiebe mich an ihm vorbei. Dann renne ich die Straße runter zur U-Bahn. Ich höre Per hinter mir herlaufen. Ich renne schneller. Per rennt, stolpert, rennt weiter. Ich erreiche die U-Bahn. ‹Erste›, denke ich, als sich die Türen schließen. Per bleibt am Bahnsteig zurück und sieht erschöpft aus. Ich werde ihn nicht anrufen. Wenn er als Erster daran denkt, mich
nicht
anzurufen, dann ist das ein einziges Mal von Vorteil.

Adii von Anja
    In letzter Zeit habe ich mir nicht nur ein paar Pölsterchen, sondern zusätzlich auch einige Ängste angesammelt. Diese Ängste – wie zum Beispiel Verträge abzuschließen, Menschen zu sagen, was ich von ihnen denke, und große Motten zu töten – vereint eine Gemeinsamkeit: die Erwartungshaltung. Es ist einleuchtend, dass Menschen Angst vor der Erwartung anderer Menschen hegen. (Bei Motten habe ich allerdings keinerlei Erwartungen, ich weiß und finde es schlimm, dass, wenn man draufhaut, es extrem laut knackt.) Absurd, wie es bei mir häufig der Fall ist, wird es erst dann, wenn man nur
denkt
, die anderen hätten eine gewisse Erwartung. Und man aufgrund dieser Annahme und der Versagensangst, diese nicht erfüllen zu können, nächtelang nicht schlafen kann und permanent darüber nachdenkt.
    Jetzt versuche ich diesen Gedanken und der damit verbundenen panischen Furcht mutig entgegenzutreten. Unter anderem deswegen gehe ich zu meiner wöchentlichen Therapiestunde, und da sie diese Woche sehr positiv verläuft, nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe dorthin, wo ich seit fünfzehn Jahren nicht gewesen bin. Vor diesem Ort graut mir, ich habe ihn zuletzt immer nur aus sicherer Entfernung beobachtet, mich manchmal sogar etwas herangeschlichen, kurz durch das Schaufenster gesehen und bin dann doch, wie eine zufällige Passantin, vorbeigelaufen. «Jetzt nur nicht umdrehen», sage ich mir. Und: «Du schaffst das. Es ist nötig. Du kennst schließlich deinen Kontostand.» Bei Betreten des Ladens werde ich zunächst nicht beachtet, was mir sehr gelegen kommt, denn ich spüre, wie all meine Poren sich öffnen, mein Körper hat sich auf Sauna eingestellt, ich schwitze. Dann bemerkt man mich, ein Mann kommt auf mich zu und sieht mich an. «Hallo, junge Dame», sagt er und fährt fort: «Gibt es etwas, was ich für dich tun kann?» Der Schweiß läuft mir jetzt an der Innenseite meiner Arme hinab, zum Glück trage ich eine Jacke, aber auch die kann meine Nervosität nur mäßig überspielen. «Ich brauche, also, ich möchte, also, wie ist denn das, ich hab nur so Prepaid, das ist zu teuer, also, ich, wenn ich einen Handyvertrag abschließen möchte?», presse ich heraus. Was dann folgt, ist ein zehnminütiger Verkaufsvortrag, dem ich versuche, aufmerksam zu folgen. Der Mann schließt seine Handyerwerbshymne mit dem Satz: «Hast du noch irgendwelche Fragen?», und ich antworte: «Ja.» Denn ich möchte gerne wissen, was genau und warum und welche Möglichkeiten und ob das Angebot noch gilt, wenn ich morgen wiederkomme, weil ich mir das vielleicht noch mal überlegen möchte. Er sagt: «Bei zwanzig Euro im Monat kann man nichts falsch machen.» Und ich denke, dass man da auf jeden Fall was falsch machen kann, nur leider fällt mir gerade kein Argument ein. Dafür aber ein möglicher Grund für meine Skepsis: Es geht um Absicherung. Denn vor Unsicherem habe ich auch Angst. Ich fürchte mich davor, ich könne in «irgendetwas hineingeraten», ich könne etwas unterschreiben, das mich in den seelischen und finanziellen Ruin treibt, wobei in beiderlei Hinsicht nicht mehr viel bei mir zu holen ist.
    Doch ich habe ja gelernt, mich meinen Ängsten zu stellen, und so einigen wir uns auf eines der vielen Vertragsangebote. Ich bin etwas erleichtert und halbwegs zufrieden mit meiner Entscheidung. Während der Verkäufer alle Daten in den Computer eingibt, kommen mir aber trotzdem wieder Zweifel, die mich nicht in Ruhe lassen. Was ist, wenn ich aus irgendeinem Grund demnächst noch weniger verdiene? Und vielleicht brauche ich ja all diese Extras auch gar nicht, ich sollte besser den billigeren Vertrag unterzeichnen. Das sage ich dem Verkäufer. Er schaut mich an, als hätte ich zwei Köpfe und würde

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