Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
fällt. Unverkennbar findet er in der spekulativen Übertreibung der Bankenwelt, beim manipulativen Umgang mit Börsennotierungen und Zinssätzen und der von Gier und Rücksichtslosigkeit geprägten Szenerie der Weltfinanzmärkte seinen Ausdruck. Nach dem Ständischen scheint auf einmal auch alles Empathische verdampft, aus Partnern sind wieder Rivalen geworden. Nicht Teilhabe und Rücksichtnahme, sondern einmal mehr Unterwerfung und Dominanzstreben prägen in solchen Phasen das wirtschaftliche Geschehen.
Der Wolf als » König der Wälder « tritt uns nun als Mensch gewordener » Master of the Universe « gegenüber. Wir werden später darüber zu sprechen haben, wie es zu dieser Reaktivierung von tief im Erbgut gespeicherten Verhaltensweisen, zur Bastardisierung der modernen Marktwirtschaft, überhaupt kommen konnte. Aber bestreiten lässt sich dieser Befund heute nicht mehr. Der Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, selbst ein Kind der kapitalistischen Bonanza, sprach unlängst davon, der Vertrag zwischen den Banken und der Gesellschaft sei gebrochen worden.
Noch etwas anderes lässt sich schon in den Morgenstunden des Industriezeitalters erkennen: Das neue Wirtschaftssystem zeigte schnell seinen schwankenden, instabilen Charakter. Es war leistungsstärker als alle Wirtschaftssysteme zuvor, aber es war eben auch deutlich unkalkulierbarer. Es kann ohne Vorwarnung vom Auf- in den Abschwung übergehen, es ist im Stande, von der Hochkonjunktur plötzlich in tiefe Depression zu ver fallen.
Der erste große Abschwung begann 1873 an der Wiener Börse, breitete sich über Europa aus und setzte sich von dort nach Amerika fort. In den USA gab es über eine Million Arbeitslose, und ein Fünftel der Eisenbahngesellschaften fuhr in Richtung ihres eigenen Bankrotts. An den Börsen herrschte ein einziges Drunter und Drüber, Sorge war in Panik umgeschlagen, so wie zuvor Optimismus in Euphorie. Die Industrieproduktion wuchs weiter, aber mit deutlich gedrosseltem Tempo. Den Zeitgenossen erschien schon diese erste kleine Funktionsstörung des Kapitalismus als » Depression « .
Die Industriellen nutzten die Schwächephase, um sich in Kartellen und Syndikaten zusammenzuschließen. Ihnen ging es immer schon um die Ausschaltung von Konkurrenz. Ausnahmslos auf allen inländischen Märkten zeigte sich, sobald sie eine gewisse Größe erreicht hatten, diese fatale Neigung, dem Markt, dem man seine eigene Existenz verdankte, bei erstbester Gelegenheit den Garaus zu machen. Es kam zur Rudelbildung wider das eigene Wirtschaftssystem.
Überall im Westen ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Konzentration der wirtschaftlichen Aktivität zu beobachten. Preisabsprachen, Gebietsaufteilung und gezielte Vernichtung der mittelständischen Konkurrenz waren an der Tagesordnung. Das Rheinisch-Westfälische Kohlesyndikat beispielsweise, 1893 gegründet, förderte in seinem Einzugsgebiet 90 Prozent der Kohle.
Nahezu alle großen deutschen Familiendynastien verdanken ihre Imperien der Konzentrationsbewegung ihrer Branche, bei der sie die Oberhand behielten. Die Geschichte der Krupps ist bis heute eine Geschichte der Übernahmen. Rund 20 einst selbständige Stahlfirmen – darunter Rheinstahl, die Deutschen Edelstahlwerke, Hoesch und Thyssen – sind in dem Konglomerat Thyssen-Krupp heute vereint.
Die Standard Oil Company, 1870 gegründet, kontrollierte zu ihrer Hochzeit 95 Prozent des in den USA raffinierten Erdöls. Dabei verdankte die Familie Rockefeller, die Anfang des 18. Jahrhunderts aus dem rheinpfälzischen Örtchen Rockenfeld in die USA ausgewandert war, ihren Aufstieg keineswegs nur der Geschäftstüchtigkeit von Firmengründer John D. Rockefeller, sondern vor allem seinem Hang zu konspirativen Preisabsprachen.
Dass der 16-jährige Rockefeller, der im September 1855 eine Stelle als Lehrling bei der Speditionsfirma Hewitt & Tuttle antrat und wenig später dort als Hilfsbuchhalter beschäftigt wurde, zum reichsten Mann der USA aufstieg, erklärt sich nur aus dem Zusammentreffen von drei Ereignissen: Da war zum einen der in ihm lodernde Unternehmergeist, der zweitens vom Aufbruch der Industrie in das Ölzeitalter befeuert wurde. Aber beides hätte nicht gereicht, Rockefeller den Aufstieg zu den Sternen zu ermöglichen. Der kam zustande, weil drittens der Staat zuschaute, wie die Großen der Ölindustrie sich untereinander arrangierten. Es gab noch keine Gegenmacht, die sich berufen fühlte, den » animal spirit « in die Schranken zu
Weitere Kostenlose Bücher