Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Familien dominierten Fabrikbetrieben lag. Die fürchteten um ihre Unabhängigkeit, sie betrachteten den Kredit als ein Instrument, das sie in Abhängigkeit bringen würde. Sie wussten: Besser war es, man kam ohne die Herren in Nadelstreifen aus. Ferdinand de Lesseps, Gründer der » Compagnie universelle du canal maritime de Suez«, sprach aus, was wohl die meisten Unternehmer der damaligen Zeit dachten: » Man kann mit solchen Leuten nicht auskommen. Die Bankiers wollen, dass ich mich ihnen füge. Das werde ich nicht tun. Ich werde es allein schaffen. «
Das Verhältnis war europaweit geprägt von Abneigung. Die Industriellen sprachen, wenn sie unter sich waren, von den » Geldsäcken «, und bezichtigten die Banker des Schmarotzertums. Wo sie konnten, zogen die deutschen Industriefamilien in die Aufsichtsräte der neu entstehenden Großbanken, um die Zeremonienmeister der Geldströme kontrollieren zu können. Carl Friedrich von Siemens saß bei der Deutschen Bank. Umgekehrt verweigerte man den Finanziers, solange es ging, in die Aufsichtsräte der Industriekonglomerate einzuziehen. Der Schwanz sollte nicht mit dem Hund wedeln.
Wer es sich leisten konnte, verzichtete anfangs auf die Hilfe einer Bank. » Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Industriellen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Banken nur unter Zwang riefen « , schreibt der französische Wirtschaftshistoriker Bertrand Gille. Selbst als Industriekonzerne wie Krupp in Folge ihrer aggressiven Expansionspolitik früh schon in Finanzierungsschwierigkeiten gerieten, blieben sie den Bankschaltern fern. 1855 fehlten in der Krupp’schen Kasse Millionen, aber Firmenpatriarch Alfred Krupp lehnte die Hilfe eines eigens für ihn gebildeten Bankenkonsortiums ab. 20 Millionen und keine Einmischung, verlangte er. Daraufhin kam die Hilfe nicht zustande.
In Frankreich herrschten in Kreisen des Industrieadels die gleichen Vorbehalte. Mit den Privatbankiers, die sich schon in ihrer parfümierten Lebensweise von den erdigen Industriemagnaten unterschieden, wollte man nur das Nötigste zu tun haben. Der Biograf des französischen Autobauers André Citroën notierte: » Was wäre von ihm geblieben, wenn er die Unterstützung der Banken angenommen hätte? Er will nichts mit Buchhaltern, Zahlenjongleuren, Dezimalstellen-Umstandskrämern zu tun haben. « Citroën selbst verewigte sich mit dem klaren Satz: » Ich will mich nicht mit den Bankiers einlassen, das Bankwesen tötet den Geist. «
Kein namhafter Wirtschaftstheoretiker hat den Banken jemals die Rolle zugewiesen, die ihnen heute zukommt. Für das schnöselhafte Auftreten schon der unerfahrensten Investmentbanker, eine alle anderen Sektoren übertreffende Bezahlung ihrer Führungskräfte und das Hofieren derselben durch die politischen Würdenträger findet man zumindest in den Lehrbüchern der Klassiker keine Rechtfertigung. Schumpeter, der große Freund der Marktwirtschaft und des freien Unternehmertums, betrachtete die Banken als notwendiges Übel, denn einer müsse ja Risiken taxieren und den Geldfluss organisieren. Aber die Tätigkeit dieser Herren war für ihn nicht eine eigenständig sprudelnde Quelle von Wohlstand.
Der Zins, den sie verlangten und nach Schumpeters Vorstellung aus Gründen der Ressourcensteuerung auch verlangen mussten, war dem Unternehmergewinn abgezwackt. » Der Zins fließt aus dem Unternehmergewinn « , schrieb er. Er sei » keine selbständige Frucht « . Ein wenig unanständig kam ihm der Zins zeitlebens vor. Er habe den Zins erklären, aber nicht rechtfertigen wollen, heißt es in seinen Schriften.
Der Banker war also von Anfang an der Paria der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, andersartig, gleichermaßen nützlich wie gemeingefährlich, je nachdem, in welchem Verhältnis man zu ihm stand. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Der alte Lenin-Spruch fand seine frühe Anwendung im Verhältnis der Unternehmer zu ihren Bankiers. Und auch die Politik war gefragt. In England, Deutschland und Japan kam es im Ausgang des 19. Jahrhunderts, in den USA und der Schweiz erst am Beginn des 20. Jahrhunderts zur Gründung von Zentralbanken, auch um die Abhängigkeit vom Finanzsektor zu reduzieren.
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Sieben Generationen durchlebten jene wölfische Phase des Kapitalismus, die wir heute die » Industrielle Revolution « nennen. Auf dem sozialen Ohr blieb das neue Wirtschaftssystem während all dieser Jahrzehnte taub. Für
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