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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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selbst das Grab, in das sie wenig später hineinplumpsten. Ihr aggressiver Aufstiegswille trug den Keim ihres Abstiegs bereits in sich.
    Auch die Marktwirtschaft lässt Verlierer und deren Marginalisierung zu, wie jedermann bestätigen wird, der die Wohn- und Schlafstätten des Prekariats besucht hat. Aber sie tut es in der festen Absicht, die Marginalisierten und Verlorenen in der nächsten Runde wieder am Spiel zu beteiligen. Schon aus Gründen der ökonomischen Effizienz will sie aus jedem Almosenempfänger einen Steuerzahler machen, aus jedem Gestrauchelten einen, der wieder Tritt fasst. Der überzeugte Marktwirtschaftler will Wettbewerb organisieren, damit Fortschritt und Wohlstand sich weiter ausbreiten können.
    Der Kapitalist verfolgt auch das Ziel der Wohlstandsmehrung, aber er glaubt, eine Abkürzung gefunden zu haben. Marktwirtschaft und Kapitalismus verhalten sich zueinander wie ein freiwilliges Tauschgeschäft zum bewaffneten Raubüberfall. Es ist daher kein Zufall, dass am Ende der Sturm-und-Drang-Zeit der Industrialisierung tatsächlich ein Krieg aller gegen alle stand.
    Die Mächtigen der damaligen Zeit legten nun das, was sie zuvor erschaffen hatten, in Schutt und Asche. 70 Millionen Soldaten aus 40 verschiedenen Ländern zogen im Ersten Weltkrieg gegeneinander ins Feld. Die Kosten dieses Weltenschlamassels, Zerstörung und Wiederaufbau, überstiegen die Summe der weltweit zwischen 1800 und 1914 aufgelaufenen Staatsschulden um das Sechseinhalbfache. Die Wirtschaftsleistung Europas brauchte anschließend acht Jahre, um das Vorkriegsniveau wieder zu erreichen.
    Die soziale Inkompetenz des Kapitalismus war damit erwiesen, die ökonomische und politische auch. Das System hielt es mit sich selbst nicht aus. Eine Wirtschaft, die das Recht des momentan Stärkeren gegen den momentan Schwächeren durchsetzt, vermag nicht die Produktivkräfte, die in der gesamten Gesellschaft stecken, zu entfalten. Dieser Kapitalismus besaß etwas Fratzenhaftes, vor dem sich das Publikum zu Recht fürchtete. John Maynard Keynes schrieb 1933: » Der dekadente internationale und individualistische Kapitalismus, in dessen Händen wir uns nach dem Ersten Weltkrieg befanden, ist ein Misserfolg. Er ist weder intelligent, noch schön, noch gerecht, noch tugendhaft, und vor allem hält er nicht, was er verspricht. Er gefällt uns nicht, und wir fangen allmählich an, ihn zu hassen.«
    Lässt sich denn gar nichts Erbauliches über die Unternehmer der ersten Stunde sagen? Ist der wölfische Kapitalismus wirklich der Dämon, den wir heute und auch hier aus ihm machen? Oder gibt es einen historischen Verdienst, den wir ihm trotz all seiner Schwächen zuschreiben sollten?
    Den gibt es. Und er muss der Fairness halber erwähnt werden. Es ist und bleibt die historische Leistung des Kapitalismus und der ungehobelten Unternehmerspezies der frühen Stunde, dass beide die Weltwirtschaft in Schwung versetzt haben wie kein anderes System zuvor. Unsere Wohlstandsgesellschaften stehen auf den Fundamenten, die damals gelegt wurden.
    Der Geist des Kapitalismus war zuallererst der Geist der Unternehmer. Sie erhöhten das Tempo der Produktion und damit des Warenausstoßes. Auch wenn die Arbeiter zunächst nicht von den Früchten ihrer Plackerei profitierten, war der materielle Wohlstandsgewinn der Nationen dennoch eindrucksvoll. Die Unternehmer und ihre Belegschaften steigerten das Sozialprodukt Europas zwischen 1830 und 1910 real, das heißt preisbereinigt, um märchenhafte 285 Prozent. Es kam – dank der Erfindungen und dem, was Kapitalisten daraus machten – in Europa zu einem einzigartigen Tempo- und Gangartwechsel. Großbritannien, Deutschland und Nordamerika bildeten noch keine Wohlstandsgesellschaften, aber die Saat war gelegt.
    Vorher war Geld immer nur Geld, ein totes Tauschobjekt unter vielen. In den neuen Fabriken aber wurde es zu Kapital. Es begann zu arbeiten und sich zu vermehren. Ein schier unendlicher Strom von Waren und Ideen setzte sich in Bewegung. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde Wachstum nicht allein durch territoriale Expansion und die gesteigerte Ausbeutung von Rohstoffen erzielt, sondern durch Effizienzgewinne. Man bekam mehr für weniger.
    Die Basiserfindung jener Jahre war das Erfinden selbst. Die Unternehmer verbündeten sich mit Wissenschaftlern und Tüftlern, um, jeder in seiner Disziplin, das Bestehende in Frage zu stellen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Wirtschaft durch Innovationen

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