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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Geld lieber unter die Matratze, als es in die Kaufhäuser oder zum Autohändler zu tragen. Überall wurden nun Ausgaben gekürzt, Lagerbestände abgebaut, Investitionsplanungen verschoben. So nährte die Krise die Krise. Wenn es denn eine Zutat gibt, die der Wohlstandserzeugung abträglich ist, dann ist es Angst in all ihren Erscheinungsformen: die Inflationsangst, die Angst vor Arbeitsplatzverlust, vor Bankenzusammenbrüchen, vor Lieferantenausfällen bis hin zur allgemeinen und durch kein Politikerwort aufhaltbaren Abstiegsangst des Bürgertums.
    Die Volkswirtschaften in Europa und Amerika verkrampften sich. Die Preise fielen. Die Produkte in den Regalen der Einzelhändler verstaubten. Die Wirtschaft schaltete den Leerlauf ein. Die Welt zu Beginn der 30er Jahre war gekennzeichnet von Wohlstandsverlusten auf breiter Front, wie sie bis dahin nur durch Krieg erzielt worden sind.
    Diese schwankende Natur des Kapitalismus machte die Menschen nicht nur arm und arbeitslos, sondern auch politisch wirr. Die Weimarer Republik mit ihrem undemokratischen Nebeneinander von Parteien, außerparlamentarischen Milizen und einflussreichen Großindustriellen bot ihnen keinen Halt. Im selben Umfang, wie Löhne, Gewinnmargen und Beschäftigtenzahlen ins Rutschen gerieten, fanden die fiebrigen Parolen von Nazis und Kommunisten Anklang.
    Sie waren das politische Ventil von Millionen. Aber der Druck hatte sich zuvor im Innern des Wirtschaftssystems aufgebaut. Ein System, das praktisch ohne Vorwarnung kollabierte, das im Eiltempo von den » Goldenen 20er Jahren « zum Schwarzen Freitag führte, das die Menschen abends mit Marlene Dietrich einschlafen ließ, um sie am Morgen in der Suppenküche zu wecken, durfte nicht auf den Zuspruch der Massen hoffen.
    Die Fundamentalkrise des Wirtschaftssystems bestand darin, dass eine der wichtigsten Annahmen über seinen Charakter, die nämlich, dass es von selbst einem Gleichgewicht zustrebe, sich als unhaltbar erwies. Dieses System neigte im Gegenteil zur Instabilität, zu raschen Veränderungen der Preise, der Märkte, der Arbeitsplätze und damit der Lebensperspektiven. Was in den Schriften der Konjunkturforscher technokratisch als » Dysfunktionalität « und » Kontraktion « beschrieben war, schmeckte im wahren Leben nach Tränen, roch nach Alkohol, klang wie eine Schallplatte mit Sprung. Die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit war so groß, dass die Gesellschaften im wahrsten Sinne des Wortes daran zerbrachen.
    Einen Theoretiker müssen wir vom Vorwurf der Schwärmerei allerdings freisprechen. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, der die » schöpferische Zerstörung « durch den ideenreichen Unternehmer als Zentralvorgang des Kapitalismus beschrieb, war sich bewusst, dass diese Endlosschleife aus Vernichtung und Wiederaufstieg für die Zeitgenossen an Härte kaum zu überbieten sein würde. Bewusst sprach er von einer dem kapitalistischen System eigenen » Entwicklung « , nicht von » Fortschritt « . Denn ob das permanente Absterben und Aufblühen von Geschäftsideen und Firmen » zu sozialem Wohlbefinden oder zu sozialem Elend, zur Entfaltung oder zur Verkümmerung des sozialen Lebens führt « , hänge von den konkreten Bedingungen und wohl auch davon ab, ob man zu den Zerstörern oder zu den Zerstörten gehöre. Schumpeter machte sich keine Illusionen: » Weiten Kreisen wird durch diese Entwicklung der Boden weggezogen, auf dem sie stehen. « Der Ökonom sprach vom » Geschrei der Zermalmten, über die die Räder des Neuen gehen « .
    Genau so war es zu Beginn der 30er Jahre. Ganze Länder schrien auf. Die Räder des Neuen waren für Millionen Menschen Räder der Zerstörung. Banken, Industriebetriebe und Regierungen, aber auch Familien und Freundschaften zerbrachen, schließlich in Deutschland, Italien und einigen anderen Staaten auch die Demokratie.
    Der Welthandel verlor zu Beginn der 30er Jahre 60 Prozent seines Wertes. Die Selbstmordrate schnellte überall im Westen nach oben. Es kam zur massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen, zum Abschmelzen von Notenbank-Reserven und der Auslöschung von Sparguthaben. Allein in den USA , deren Wirtschaftsleistung das gemeinsame Sozialprodukt von Deutschen und Briten damals um das Doppelte übertraf, mussten zwischen 1930 und 1933 knapp 9000 der rund 25 000 Banken schließen, das Bruttoinlandsprodukt ging zwischen 1929 und 1931 um 28 Prozent zurück. US -Ökonom Hyman P. Minsky sprach von einer » Ökonomie der Katastrophe «

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