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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Für Marx war das Privateigentum des Teufels, für Friedman ein Gottesgeschenk. Beim Staat verhielt es sich umgekehrt. War er für Marx der Heilsbringer, war er für Friedman ein Verderbnis. Beide Männer haben sich verrannt.
    Denn in Wahrheit gehören beide zusammen, Markt und Staat sind Geschwister, durch ewige Blutsbande miteinander verbunden, auch wenn das lebenslange Rivalitäten nicht ausschließt. Aber wenn der eine dem anderen nach dem Leben trachtet, ist die Familie – in unserem Fall die Gesellschaft – in Aufruhr. Der Geschwistermord ist der grausamste Mord von allen.
    Nobelpreisträger Friedman hat ein Gutteil seiner wissenschaftlichen Arbeit darauf verschwendet, den wissenschaftlichen Nachweis zu führen, dass der Staat ein Zerstörer von Wohlstand sei. Die großen Erfolge der Zivilisation, ob in der Architektur, in der Malerei, in Wissenschaft und Literatur, in Industrie und Landwirtschaft, seien nicht von zentralen Staatsgewalten ausgegangen, sagt er. Newton und Leibniz, Einstein und Bohr, Shakespeare, Edison, Ford und Albert Schweitzer, ihre Leistungen seien das Ergebnis individuellen Genies, kraftvoll vertretener Minderheitenansichten, eines sozialen Klimas, das Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit erlaube. Der Staat könne nie die Vielfalt und Verschiedenheit individueller Aktionen ersetzen, schrieb Friedman in seinem Klassiker » Kapitalismus und Freiheit « .
    Welch ein sinnloser Kampf! Natürlich kann der Staat die individuelle Aktion nicht ersetzen, was auch die Aktiengesellschaft und der Hedgefonds nicht können. Firma und Staat aber können die große Einzelleistung ermöglichen, sie im Bildungssystem vorbereiten, sie durch eine funktionierende Wettbewerbsordnung stimulieren und schließlich mit Hilfe ihrer Steuergesetzgebung honorieren.
    Albert Schweitzer verdankte seine humanitäre Bildung den staatlichen Schulen der Schweiz; die humanitäre Leistung, deretwegen wir ihn bis heute verehren, hat er dann selbst erbracht. Aber es war in diesem wie in fast allen anderen Fällen. Das Leben der Großen und Geistreichen ist ein Staffellauf, bei dem die Familie an den Ausbilder Staat übergibt, bevor der Einzelne dann sein Wissen und Talent frei entfalten kann.
    Der Staat verbraucht also nicht nur Wohlstand. Er hilft auch, ihn zu schaffen. Mit seinem Bildungssystem, seinen Krankenhäusern, seinen Straßen, mit seiner Normensetzung und den Freiheitsräumen, die er nicht nur definiert, sondern mithilfe seines Gewaltmonopols unermüdlich offen hält, schafft er die Voraussetzungen für Durchbrüche aller Art. Auch das Genie lebt nicht vom Genie allein.
    Oder um es in der Sprache des Sports zu formulieren: Der Staat schießt zwar nicht die Tore, aber er stellt den Schiedsrichter, baut die Stadien, kümmert sich um den Breitensport und die Nachwuchsförderung. Erst wenn Schiedsrichter, St adi onerbauer und ehrenamtliche Trainer aus ihrer Bedeutung für das System Fußball die Forderung nach Aufstellung in der Nationalmannschaft ableiten würden, wäre es um die Qualität des Fußballs geschehen. Aber solange jeder an seiner Stelle wirkt – der Torschütze schießt, der Schiedsrichter pfeift, der Stadionerbauer baut –, ist die Fußballwelt in bester Ordnung. Die Lehre von der Ordnung ist die Lehre von der Marktwirtschaft.
    So entstand nach 1945 überall im Westen der moderne Wohlfahrtsstaat, der die Privatwirtschaft nicht bevormunden, aber ergänzen sollte. Die Gesellschaft stand von nun ab hinter jedem Beschäftigten. Wenn er arbeitslos wurde, fing sie ihn auf. Wenn er krank wurde, hielt sie Bett und Arzt für ihn bereit. Wenn er alt wurde, zahlte sie ihm eine Rente aus, die sich an den Lohnsteigerungen orientierte. Die Sozialleistungsquote in Deutschland, also der Anteil an der Wirtschaftskraft des Landes, der für Soziales ausgegeben wird, erhöhte sich von 19,2 Prozent in 1950 auf 21,7 in 1960, um sich dann bis 1980 auf über 32 Prozent zu steigern.
    Die Vorkriegsgesellschaft war wie eine Pyramide gegliedert. Oben wenige Reiche, unten ganz viele arme Schlucker; und es gab nur wenig Durchlässigkeit nach oben. Die Erhard-Gesellschaft dagegen glich einer Zwiebel. Die Mitte der Gesellschaft – da, wo man gut gebildet war, gut verdiente und entsprechend gut lebte – hatte sich enorm verbreitert . M an konnte sich mit Talent und Fleiß nach oben arbeiten.
    Aber das Scheitern war noch immer möglich und sollte es auch sein. Doch der Fallende fiel weicher als je zuvor. Wenn die privatwirtschaftliche

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