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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Wertschöpfung in Fabriken und Bürofluchten das Hochseil ist, wurde darunter nun ein soziales Netz gespannt, sodass nie wieder Millionen Menschen im freien Fall nach unten sausen konnten. Damit unterschied sich die Marktwirtschaft ganz wesentlich vom Kapitalismus, der eine derartige Schutzvorkehrung nicht kannte und auch für unnötig hielt. Aber sie unterschied sich auch vom Sozialismus, in dem das soziale Netz den Hochseilakt ersetzte.
    Das Scheitern darf die Marktwirtschaft bei Strafe des Untergangs nicht vereiteln. Sie muss Gewinner gewinnen und Verlierer verlieren lassen. Die » kreative Zerstörung « , von der Schumpeter sprach, gehört zu den Vorzügen der Wettbewerbsordnung, nicht zu ihren Makeln. Sie ist der Wohlstandsmotor unseres Lebens.
    Was passiert, wenn einer wichtigen Branche eine Ausnahmegenehmigung ausgestellt wird, wenn deren Risiken nicht mehr vom Unternehmer, sondern vom Steuerzahler getragen werden, wenn Produkte und Geschäftspraktiken überleben, die sich als gefährlich oder sinnlos erwiesen haben, werden wir später am Beispiel der privaten Banken noch studieren. Aber in der Konzeption von Erhards Marktwirtschaft, so viel kann man hier schon sagen, war die Gründung einer Sonderwirtschaftszone für Banken nicht vorgesehen. Der einzelne Mensch sollte vor den schlimmsten Folgen des eigenen Scheiterns oder dem Scheitern seines Unternehmens bewahrt werden, er sollte eine neue Chance bekommen. Nicht aber eine ganze Industrie.
    Den Arbeiter wollte man nicht mehr dem Risiko des Totalverlustes von Einkommen, Gesundheit, Sozialprestige und Lebensglück aussetzen. Das war menschlich geboten und politisch klug. Aber für die Unternehmen oder gar eine ganze Branche konnte diese Barmherzigkeit nicht gelten, denn sie sollten sich anstrengen und, wenn diese Anstrengung keine Früchte trug, dem Besseren Platz machen. Die Marktwirtschaft begründete den Sozialstaat, aber sie wollte nicht den Subventionsstaat aus der Taufe heben.
    Die Wohlstandsmaschine der Nachkriegsjahrzehnte schnurrte auch deshalb so reibungslos, weil niemand auf die Idee kam, die Geldversorgung, diesen Zentralbereich der Volkswirtschaft, vom Scheitern freizustellen. Die Begriffe » Bad Bank « und » Rettungsschirm « waren noch längst nicht erfunden. Eher hätte der Vorstand der Bundesbank den kollektiven Freitod gewählt, als den privaten Banken innerhalb weniger Tage eine Billion Deutsche Mark an Liquidität zur Verfügung zu stellen, was der doppelten Summe aller deutschen Steuerzahlungen des Jahres 2012 entsprach. Ein Doktorand der Ökonomie, der vorgeschlagen hätte, dass verschuldete Länder für andere hoch verschuldete Länder eine Generalgarantie übernehmen, dass Staaten die Billionen ihrer Sparer als Bürgschaft einsetzen, dass nahezu alle Banken eine staatliche Überlebensgarantie ausgehändigt bekommen, wäre nicht zur Abschlussprüfung zugelassen worden. Der ihn betreuende Professor hätte ihn höflich an die vier Grundrechenarten erinnert und ihm die Klassiker zur Lektüre empfohlen.
    Jene Zeit, als die Weltwirtschaft ohne derartige Regelverletzungen arbeitete, muss im Rückblick als die erfolgreichste Periode der Weltwohlstandsgeschichte betrachtet werden. In der Zeit zwischen 1960 und 1990 wuchs Westeuropa so schnell und so schwankungsfrei wie nie zuvor und nie danach. Das Vorkriegsniveau wurde bereits im Jahr 1950 überschritten. 1990 produzierte allein Deutschland sechs Mal so viele Waren und Dienstleistungen wie 1950. Die Durchschnittswachstumsrate in Deutschland betrug in der Periode 1960 bis 1990 3,3 Prozent und in England 3,7 Prozent. Die höchste Arbeitslosenquote der Erhard-Jahre lag bei 0,7 Prozent und damit unter der des Kaiserreiches und unter dem, was in der Zwischenkriegszeit üblich war.
    Über die Gründe der neuen Verlässlichkeit braucht nicht spekuliert werden: Der Menschenschlag war derselbe wie vor dem Krieg. Die Rohstofflage, das Klima, die religiöse Grundfärbung, das Familienleben und was sonst noch eine Gesellschaft kennzeichnet, hatten sich kaum verändert. Aber die Ordnung der Wirtschaft war eine grundlegend andere geworden.
    Die Folgen des deutschen Aufstiegs waren bald auf der ganzen Welt zu spüren. Die Ureinwohner auf den Balearen, den griechischen Inseln und wenig später auch die Bevölkerung der Dominikanischen Republik wissen, was hier gemeint ist. Die Kabarettisten Gerhard Polt, Gisela Schneeberger, Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder haben 1988 in dem Kinofilm » Man spricht

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