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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Planwirtschaft war Erhards heimlicher Helfer. Denn die Versprechungen von Stalin, Chruschtschow und auf Seiten der DDR von Walter Ulbricht – Beteiligung der Arbeiter am Produktivvermögen, staatliche Fürsorge in allen Lebenslagen, zentrale Planung zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse – klangen für die verarmten und kriegsversehrten Deutschen wie das Glockengeläut am Heiligabend. Die Aussicht auf eine immerwährende Bescherung durch Vater Staat war auch westlich der Systemgrenze verlockend.
    Die Entzauberung folgte später, bei manchen sehr viel später, aber im Moment der Erschöpfung hörten die Menschen nur auf einem Ohr: Man sagte » Sozialismus « , aber sie verstanden » sozial « . Das klang in jedem Fall wärmer als die Vokabeln, die der Kapitalismus in seiner Weimarer Abschiedsvorstellung geboten hatte.
    Die Unternehmer waren im Angesicht der Systemkonfrontation eher bereit, die neuen Spielregeln der Marktwirtschaft zu akzeptieren. Auch das neue Denken der Wirtschaftstheoretiker war geprägt von einer Selbstbescheidung, wie man sie bis dato nicht kannte. Die Neoliberalen definierten den Liberalismus neu; sie trieben dem Markt das Ausschließliche aus. Dafür stand die Vorsilbe » Neo « – für das Ende der liberalen Marktfixiertheit, für den Zweifel an der Staatsferne der Wirtschaftsordnung, für den Einzug des Sozialen in das ur-liberale Gedankengebäude. Erst später wurde » Neoliberalismus « mit » Gefühlskälte « übersetzt, wahrscheinlich aus Unkenntnis der neoliberalen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg.
    Anders als die klassischen Liberalen setzten Männer wie Müller-Armack, Erhard und Röpke auf das Wechselspiel von Privat und Öffentlich, von Arbeiter und Unternehmer, von Eigeninteresse und Allgemeinwohl. Der Markt würde in diesem neuen System » für letzte Entscheidungen unzuständig « , sagte Röpke.
    Erhard konnte dem Gedanken eines » Laissez-faire « ebenfalls nichts abgewinnen: » Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das ›freie Spiel der Kräfte‹ und dergleichen Phrasen, mit denen man hausieren geht, sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zugutekommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung. «
    Eines dürfen wir an dieser Stelle bei aller Schwärmerei ruhig zugeben: Wenn wir nicht wüssten, dass Erhards Modell der Marktwirtschaft funktionieren kann und funktioniert hat, würde man denken, ein solch paradoxes Wirtschaftssystem, das auf dem bewussten Wechselspiel von Widersprüchen beruht, kann nur als Hirngespinst überleben. Hochkomplex, überladen mit guten Absichten, wenig alltagstauglich, würde man denken.
    Aber das Ganze funktionierte, und es funktionierte sogar besser als die Vorläufersysteme. Privatwirtschaft und Wohlfahrtsstaat stießen sich nicht mehr ab, sondern lebten in friedlicher Nachbarschaft zueinander. Die Wirtschaft produzierte Wohlstand für viele, und das nicht auf Kosten der Sicherheit. Die Banken erfüllten ihre Aufgabe, die Realwirtschaft mit den Ersparnissen der Bürger zu bewässern. Die » Hedgefonds « und andere Spezialbanken für Spekulanten boten in der Nische ihre Dienste an. Deutschland war das Land der Sparkassen, die damals 60 Prozent aller Spareinlagen verwalteten und 30 Prozent aller Kredite vergaben.
    Die Deutsche Bank war zwar schon damals die größte Bank des Landes, aber sie war eine andere als das heutige Geldhaus gleichen Namens. Wenn man den Vorständen jener Zeit gesagt hätte, dass ihr Institut in einigen Jahrzehnten nach Tausenden Mitarbeitern zählende Abteilungen unterhalten wird, die sich nicht mehr mit Kunden, sondern mit Spekulationen auf eigene Rechnung, dem sogenannten Eigenhandel, beschäftigen werden, hätten sie einen für verrückt und das Ganze für unseriös erklärt.
    Kapital und Arbeit – aus Rivalen werden Partner
    In jener Zeit entstand auch der moderne Arbeitsmarkt, der für den Menschen bedeutsamste aller Märkte. Denn hier geht es nur um ihn. Auf dem Arbeitsmarkt finden Angebot von und Nachfrage nach Arbeitskraft zusammen, wobei alles, was wir von den Warenmärkten schon kennen, das Feilschen, der Wucher und auch das Verlustgeschäft, sich hier unter neuem, menschlichem Vorzeichen wiederholt.
    Die Preisverhandlungen heißen von nun an

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