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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Tarifrunde, der Streik wird zum legitimen Recht der Arbeiter, so wie Aussperrung, Entlassung oder Produktionsverlagerung ab sofort zum erlaubten Schreckensarsenal der Unternehmer gehören.
    Auf dem Arbeitsmarkt können wir den Unterschied zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft in reinster, fast schon kristalliner Form besichtigen. Der Kapitalismus hat den Sklavenmarkt hervorgebracht, auf dem der Stärkere den Schwächeren für recht-, würde- und preislos erklärt. Der Marktwirtschaftler besitzt ein anderes Menschenbild: Er geht von der Gleichheit der Beteiligten vor dem Gesetz aus, kennt Schlichter, Ombudsleute und Schiedsgerichte, schreibt das Recht, sich zu organisieren, in der Verfassung unter dem Stichwort » Koalitionsfreiheit « fest und erlaubt jede Form der Preisfindung, solange sie nur auf den Prinzipen der Gewaltlosigkeit und der Freiwilligkeit beruht. Die Idee der Aussöhnung von Kapital und Arbeit scheint ihm mächtiger und fruchtbarer als die Idee vom permanenten Klassenkampf, der nicht nur Marxisten anhingen, sondern mit gleicher Inbrunst auch die Kapitalisten der ersten Stunde.
    Der gerechte Lohn wurde zum Gegenstand vieler Abhandlungen, und doch lehrt die Wirtschaftsgeschichte bis in unsere Zeit hinein, dass wir ihm nur zustreben können, ohne ihn je zu erreichen. Der gerechte Lohn ist eine Fata Morgana. Auf beiden Seiten werden immer wieder Verlustgeschäfte abgeschlossen. Es gibt Löhne, die durch ihre Geringfügigkeit zu einem ungerecht hohen Gewinn des Unternehmers beitragen. Und es gibt Löhne, die derart deutlich oberhalb der Produktivität ihres Unternehmens angesiedelt sind, dass sie zum finanziellen Ruin einer Firma führen. Den gerechten Lohn kann es nur als Annährung geben, was wiederum niemanden hindern darf, diese Annährung zu versuchen.
    Auch wenn die Gewerkschaften ihren Mitgliedern schon aus Motivationsgründen glauben machen, dass sie dem Unternehmer etwas abgetrotzt haben, so liegt das Abgetrotzte doch im wohlverstandenen Sinne des Unternehmers selbst. So wie umgekehrt die Unternehmer aus alter Gewohnheit über jede Lohnerhöhung stöhnen und jammern, als habe man ihnen das Totenglöckchen gebimmelt. In Wahrheit spornt der maßvoll erhöhte Lohn den Unternehmer an, die alte Rentabilität unter veränderten Bedingungen erneut zu erzielen.
    Beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, schwingen auf diese Art die Produktivitätspeitsche gegen den anderen, stimulieren Mehrleistung, Innovation und schließlich Durchbrüche in der Technik und bei der Arbeitsorganisation. Der »gierige Unternehmer « wie der » unverschämte Arbeiter « sind zwei liebgewordene Feindbilder, die sich im wahren Wirtschaftsleben auf das Schönste ergänzen. Ohne Gewerkschaften wäre die Marktwirtschaft nicht komplett, wie schon John Stuart Mill feststellte: » Ich trage keine Bedenken zu sagen, dass Arbeiterkoalitionen, von einer ähnlichen Wirkung wie die Gewerkschaften, nicht nur weit davon entfernt, ein Hindernis für die Freiheit des Arbeitsmarktes zu sein, vielmehr der notwendige Weg zu deren Gewährleistung sind. «
    Auf den Warenmärkten erleben wir die gleiche, zuweilen zauberhafte Wirkung des Wettbewerbsprinzips. Die stolzen Ingenieure bei Daimler, BMW und Volkswagen glauben zwar, es seien ihre Erfindungen, die das Auto besser machten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist die: Nur weil die Automobile aus Stuttgart, München und Wolfsburg mit denen aus Toyota City und Detroit wetteifern, wird der Ingenieur zum permanenten Wettbewerb angehalten. Er ist nicht in sein Belieben gestellt. Er muss besser werden, sonst tun es die anderen. Er hört dann auf, ein Ingenieur zu sein. Die Basiserfindung des heutigen Automobils ist nicht der Motor, die Leichtbauweise der Karosserie, das ABS -Bremssystem, sondern die Erfindung des Wettbewerbs. Das ist die Hauptantriebskraft, die wie ein großes Schwungrad alle anderen Kräfte, die Ingenieure, die Zulieferer, den Manager in der Zentrale, in Bewegung hält. Wer rastet, dessen Autos rosten bald schon auf der Halde neben dem Werkstor vor sich hin. Die ehemaligen Arbeiter in den ehemaligen Autofabriken Großbritanniens wissen, was hier gemeint ist.
    Der Wettbewerb ist noch aus einem anderen Grund eine große Weltverbesserungsmaschine: Er strebt nach Ausweitung seines Geltungsbereichs. Ohne die Ausweitung des Marktes hätten wir in Deutschland noch immer sechs Zeitzonen. Erst die Eisenbahn, für deren Abfahrtspläne die Zeitzonen ein lästiges

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