Unsere Claudia
umsinke, gerade vor den Augen unseres Gastes!“
Unseres Gastes…
Über Claudias Gesicht lief ein Zucken. Es war das erste Mal, daß sie Heiligabend einen Gast hatten. Abgesehen von Großmama natürlich, die war zu Weihnachten ein paarmal bei ihnen gewesen. Und es war bisher noch nie vorgekommen, daß Mutti ihre Tochter Claudia nicht nach ihrer Ansicht gefragt, sondern ganz aus eigenem Ermessen gehandelt hatte.
Weshalb hatte Mutti nicht vorher ein Wort gesagt? Weshalb hatte sie es nicht schon gestern erwähnt? Sie hätte doch sagen können: „Du, Claudia, ich finde, wir sollten Onkel Peter zum Heiligabend einladen, er lebt ganz allein, nachdem seine Schwester gestorben ist.“ Natürlich wäre Claudia einverstanden gewesen. Sie und Mutti waren sich doch immer einig!
Aber Mutti hatte nicht ein einziges Wort gesagt, bis heute. Und ihre Stimme war so neu gewesen und der Ausdruck, neu, und Claudias hellhöriges Ohr hatte einen kleinen atemlosen, zitternden Ton hinter den Worten vernommen:
„Wir haben morgen einen Gast, Claudia! Ist das nicht reizend? Ich habe Peter – Peter Brodersen eingeladen – er ist so allein, nachdem er seine Schwester verloren hat… glaubst du nicht, daß es sehr gemütlich werden kann? Was Claudia?“
Wie sehr Mutti doch daran gelegen war, zu betonen, daß es gemütlich werden würde.
Gewiß doch! Claudia glaubte, es könne gemütlich werden. Und sie ging schweigend in die Küche und machte für Mutti das Teebrett zurecht, brachte es herein und ging wieder hinaus.
„Nanu? Willst du denn nicht mit mir zusammen Tee trinken, Kleines?“
Aber ihre Tochter schüttelte den Kopf.
Claudia mußte allein sein. Sie wußte nicht, warum. Sie wußte nicht, daß sie ein Problem zu bewältigen hatte, eins, mit dem sie sich herumschlagen mußte. Sie wußte nur, daß sie allein sein mußte, mußte…
„Ich habe keine Zeit, Mutti. Ich muß ein Weihnachtsgeschenk für Onkel Peter machen. Er muß doch auch Pakete bekommen! Ich – ich mache so ein Lesezeichen, wie ich für Tante Helga eins gemacht habe. Hoffentlich mag er das.“ Mutti lächelte.
„Wie furchtbar lieb ist das von dir, Claudia“, sagte sie warm. „Das wird Onkel Peter auch sehr zu schätzen wissen!“
Und da saß Claudia nun in der abendlich stillen Stube und versuchte, ein Problem zu durchdenken, das sie nicht verstand. Sie hatte nur eine schwache Ahnung, daß irgendwo in der Zukunft Schwierigkeiten lägen und auf sie warteten.
Und die Nadel ging hin und her, und Stich fügte sich an Stich, und schließlich standen die Buchstaben P. B. hübsch und deutlich da in Kornblumenblau auf cremegelbem Grund.
Dann packte sie das Nähzeug zusammen und schlich ins Schlafzimmer, wo die Mutter nach einem mühevollen Tag schon tief und fest schlief.
Claudia stand da und betrachtete ihre schlafende Mutter. Und ihr fiel ein, was Elsa erst neulich wieder gesagt hatte:
„Du Claudia, deine Mutter ist so schön, und sie sieht noch mächtig jung aus!“
Ja, Mutti war jung und schön.
Claudia stand still, mucksmäuschenstill. Sie fühlte sich mit einemmal so erwachsen. Es war genauso, als habe sie die Verantwortung, als sei von ihnen beiden sie die Erwachsene – und als sie die Mutter mit leichten, behutsamen Hände besser zudeckte, geschah es mit derselben Weichheit, wie wenn eine Mutter ihr schlafendes Kind zudeckt. Mutti lächelte im Schlaf.
„Nein, Claudia! Du bist wirklich unübertrefflich!“ Onkel Peter blieb in der Tür stehen mit einer vollen Aktentasche in der einen Hand und einen Strauß Blumen in der andern.
„So ein Mädchen aber auch! Hast du das alles ganz allein gemacht, mein Kind?“
„Ja – das ist doch weiter keine Kunst…“
„Nein, das habe ich auch nicht gesagt… aber trotzdem bist du sehr tüchtig gewesen. Wie reizend du den Tisch gedeckt hast – und den Baum so schön geputzt! Ich bin euch sehr dankbar, daß ihr mich bei euch sehen möchtet, Claudia! Du kannst mir glauben, ich habe mich gefreut, als deine Mutter mich einlud.“
Mutti war gleich ins Badezimmer gegangen, um sich zu waschen und zurechtzumachen, und Claudia und Onkel Peter waren ein paar Minuten allein.
Claudia mußte lächeln. Onkel Peter hatte so etwas Warmes und Herzliches an sich und machte so gar keine Umschweife.
Freundlich streckte sie ihm die Hand entgegen.
„Es ist nett, daß du Lust hattest, zu kommen, Onkel Peter…“
„Willst du dich mal freundlichst über dies Gemüse erbarmen, Claudia?“ Onkel Peter reichte ihr die
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