Unsere Claudia
lachte Mutti.
„Schau her, Kleines, du darfst den Brief selbst lesen. Dich geht es ja an.“
Und Claudia las. Das Lehrerkollegium schlage einstimmig vor, daß Claudia Keller versuchsweise in eine höhere Klasse eingestuft wird. Das ausgezeichnete Ergebnis, das Claudia in ihren Weihnachtsarbeiten erreicht habe, bestärke die Lehrer in ihrer Auffassung, die sie schon lange vertreten hätten, daß Claudia ihren Mitschülerinnen weit voraus sei. Die Schularbeit werde auch interessanter für sie werden, wenn sie in eine höhere Klasse komme, die größere Anforderungen an sie stellte.
Ob Frau Keller zu dem Vorschlag ihre Meinung äußern und sich gleich nach Neujahr mit dem Direktor in Verbindung setzen wolle? Und der Direktor schloß den Brief damit, seiner Freude Ausdruck zu geben, daß er solche Schülerinnen wie Claudia in der Schule habe, und er gestatte sich, Frau Keller und Claudia ein recht gutes Weihnachten zu wünschen.
Claudia stand wie angewurzelt da, das Papier zitterte in ihrer Hand.
„Ach Mutti… gehst du darauf ein? Muß ich aus meiner Klasse ‘raus?“
„Möchtest du nicht selber gern, Claudia?“
„Nein, ich möchte gar nicht – alle meine Freundinnen verlassen – und nicht mehr Fräulein Röder als Klassenlehrerin haben – und keine Ausflüge mehr mit der Klasse machen – und mit lauter Mädchen zusammen sein, die älter sind als ich…. ach Mutti, muß ich das denn tun? Darf ich nicht bleiben, wo ich bin?“
„Wenn nun aber der Direktor und die Lehrer meinen, du seiest reif für eine höhere Klasse, Claudia? Möchtest du nicht gern ein Jahr eher mit der Schule fertig sein?“ Claudia biß sich auf die Lippen.
„Ich – ich weiß nicht, Muttel. Ich fühle mich so wohl dort, wo ich jetzt bin – und… es kommt so plötzlich…“
„Da hast du ganz recht, Kleines! Wir reden jetzt nicht mehr davon. Jedenfalls wird keine Menschenseele dich zwingen. Wenn du durchaus nicht willst, dann bleibst du, wo du bist! So! Wenn du jetzt deiner alten Mutter etwas Gutes antun willst, dann…“
„Das Fußsalz steht bereit. Muttchen, ich mache das Bad gleich fertig!“
Claudia wußte nur zu gut, was ihre Mutter nach einem solchen Tage dringend nötig hatte: In einen behaglichen Sessel sinken und die Füße in lauwarmes Wasser mit Badesalz stecken. Die armen, müden, geschwollenen Füße waren den ganzen Tag gegangen und gerannt oder im Stehen müde geworden.
Claudia zog ihrer Mutter Schuhe und Strümpfe aus, stopfte ihr ein Kissen in den Rücken und drehte die große Lampe aus.
Und nun saß Anita Keller, wie Millionen von todmüden Verkäuferinnen an den letzten Abenden vor Weihnachten dasitzen, mit geschlossenen Augen, die Füße in einem lindernden Bad.
Unterdes machte Claudia Tee und strich Butterbrote. Kurz darauf ging Mutti ins Bett, und Claudia richtete ihr das Abendbrot auf einem Teebrett an.
„Wie habe ich es gut“, sagte Mutti. „So bedient und umsorgt zu werden – zu schön, wenn man so eine große Tochter hat, Claudia! Ein großes Mädchen, das fleißig in der Schule ist und Kuchen bäckt und den Haushalt macht und die müde Mutter pflegt…“
„Und wie gut hab’ ich es erst“, lächelte Claudia. „Wenn ich an den Storch glaubte, Muttel, dann würde ich sagen, er war ein kluges und prächtiges Tier, weil er mich von allen Müttern in der Welt ausgerechnet zu Anita Keller gebracht hat!“
Heiligabend zu dritt
Claudia saß über eine Handarbeit gebeugt und schwitzte.
Es war nur eine ganze Kleinigkeit, nur zwei Buchstaben sollten in Kreuzstich gestickt werden, aber es mußte anständig gemacht werden. Und es war eilig. Denn morgen war Heiligabend, und da mußte es fertig sein.
Claudia steckte die Nadel hinein und zog sie wieder heraus, und unter ihren Fingern entstanden auf dem niedlichen kleinen Lesezeichen die Buchstaben P. B.
Mutti war ins Bett gegangen, abgespannt und überanstrengt; und glücklich und dankbar, weil Claudia alle Weihnachtsvorbereitungen so glänzend erledigt hatte. Ja, ihre Wochenfrau, die treue Frau Möller, war gekommen und hatte die ganze Wohnung saubergemacht, aber Claudia hatte die Einkäufe erledigt und das Zimmer geschmückt und tausenderlei getan, und morgen vormittag wollte sie den Baum putzen.
Jetzt saß sie allein im Wohnzimmer und stickte und grübelte.
„Ich muß unbedingt früh zu Bett gehen, damit ich für morgen abend ein bißchen Kraft aufspeichern kann“, hatte Mutti gesagt. „Es geht doch nicht, daß ich bei Tisch
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