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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Kleberger
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Bürgermeister heute um 12 Uhr mittags ein kleines Geschenk überreichen.
    Mit den ergebensten Grüßen
    Baumann
    Sekretär der Bürgermeisterei«

    Ein verblüfftes Schweigen folgte. Dann aber brach ein Sturm los. Wieder drängte sich alles um Oma, die ganz verlegen war.
    »Was für ein Unsinn, so groß war meine Tat nun wirklich nicht. Woher wissen sie das nur? Ob der arme Junge nun noch einmal Haue bekommen hat? Ich hab’s ihm doch schon so tüchtig gegeben!«
    »Aber Oma, freu dich doch, das ist eine große Ehre!« rief Heiner.
    »Ich glaube, ich muß mich jetzt etwas zurückziehen«, sagte Oma mit zittriger Stimme. »Ich will mich ein bißchen vorbereiten und auch feinmachen.« Mit dem Brief in der Hand ging sie in ihr Zimmer. Die Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als man kurz vor zwölf Uhr vom Dorf herauf einen Zug auf Pieselangs Häuschen zuwandern sah. Voran marschierten der Bürgermeister und der Gemeindeschreiber, dann folgten Feuerwehrmann Meyer I mit seiner Trompete unter dem Arm und der Schmied in seinem Arbeitsanzug. Hinter ihnen führte Fuhrmann Petersen seine beiden Gäule, die einen Wagen mit einer verdeckten Last zogen. Das halbe Dorf begleitete sie. Vor dem Haus stellten sie sich schweigend mit ernsten Gesichtern auf.
    »Hol Oma!« flüsterte Lehrer Pieselang Brigitte zu.
    Aber da erschien sie schon. Der Feuerwehrmann blies einen Tusch auf seiner Trompete, der Bürgermeister trat in seinem feierlichen schwarzen Anzug einen Schritt vor und sagte:
    »Die Gemeinde dankt Frau Angelika Pieselang, geborene von Haselburg, für die mutige Tat, die ein junges Menschenleben dem Tode entrissen hat.«

    Jan hätte beinahe vor Rührung geweint, so schön fand er die Ansprache.
    Der Bürgermeister fuhr fort: »Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich dieser Amtshandlung noch ein paar persönliche Worte zufüge. Ich bin bei der Sache besonders betroffen, weil es sich um meinen Sohn, meinen einzigen Sohn, diesen verflixten Lausebengel, handelt. Deshalb möchte ich noch einen kleinen Dank beifügen. Ich habe versucht zu erforschen, was Ihnen eine besondere Freude bereiten würde, und hier ist sie nun!«
    Er gab dem Feuerwehrmann und dem Schmied ein Zeichen, worauf die beiden die Plane von dem Wagen zogen. Ein seltsames Gestell lag darauf, fast wie eine hohe Teppichstange, aber etwas schmäler. Was mochte das sein? Der Bürgermeister zog lächelnd ein gelbes Schaukelbrett und zwei Ringe an festen Seilen aus einem Karton.
    Der Lehrer schnappte nach Luft. »Eine Schaukel? Aber meine Mutter ist doch kein Kind mehr. Wie kommen Sie denn darauf?«
    Der Bürgermeister sah ihn etwas unsicher an. »Ich dachte, es wäre ihr Wunsch, und da die gnädige Frau Rollschuh läuft, schien mir das gar nicht so abwegig. Man hat mir doch gesagt, es wäre ihr innigster Herzenswunsch!«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?« fragte der Lehrer.
    »Ihr Sohn Jan.«
    »Jan!« donnerte der Lehrer.
    Aber Jan war nicht zu sehen; er hockte im Apfelbaum, dessen Blätter zum Glück schon dicht waren.
    »Jan!« rief der Lehrer noch einmal.
    Oma legte ihm die Hand auf den Arm. »Beruhige dich, mein Sohn. Der Bürgermeister hat mir wirklich einen Herzenswunsch erfüllt.«
    Liebenswürdig wandte sie sich an das verschüchterte Gemeindeoberhaupt. »Schon als Kind wünschte ich mir immer eine Schaukel, doch ich habe niemals eine bekommen.«
    »Aber jetzt bist du kein Kind mehr!« brummte der Lehrer.
    »Nicht nur für Kinder ist die Schaukel da. Schon vor zweitausend Jahren haben die alten Griechen gern geschaukelt, und zwar nicht nur die Kinder, sondern die Priester und Priesterinnen bei ihrem Gottesdienst.«
    Jetzt schwieg der Lehrer. Alles, was die alten Griechen getan hatten, fand er gut und richtig.
    Der Bürgermeister strahlte. Er reichte Oma den Arm, und sie gingen zusammen in eine Ecke des Gartens, wo der Schmied, der Feuerwehrmann und der Fuhrmann das Gestell der Schaukel aufbauten. Zum Schluß hängte Heiner die Schnüre in die Haken, legte das Brett zwischen die Ringe und trat zurück. Mit einem kleinen Jauchzer schwang sich Oma auf das Brett. Jan, der wieder aufgetaucht war, stieß sie an. Die Schaukel fing an zu schwingen, höher und höher.
    Als Oma genug geschaukelt hatte, kamen die Kinder an die Reihe. Oma ging in ihr Zimmer, um ihre Geburtstagspost zu lesen. Vorher blickte sie noch einmal aus dem Fenster zur Schaukel hinüber, auf der Peter jubelnd hin und her schwang. Sie mußte daran denken, daß sie und ihr Bruder Ludi sich als Kinder

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