Unsere Oma
zusammenzuckten.
»Deine Mütze ist sehr schön«, sagte der Stationsvorsteher, um ihn loszuwerden, und zu Oma: »Zwiebelsaft meinen Sie also. Ich werde es meiner Frau sagen.«
Unterdessen hatte Heiner ein leeres Abteil erspäht und eine Menge Koffer darin verstaut. Nun gab es eine große Küsserei. Vater und Mutter küßten Brigitte, Jan, Ingeborg und Peter, die fortfuhren; Brigitte, Jan, Peter und Ingeborg küßten Mutter, Vater und das Baby, die zurückblieben. Oma küßte alle; die, die mitfuhren, und die, die zurückblieben. Heiner, der auch nicht mitfuhr, entzog sich der Küsserei, indem er sich hinter einem Handwagen verbarg. Endlich stiegen die Mitfahrenden ein. Oma wurde, höflich von dem Stationsvorsteher gestützt, als letzte ins Abteil geschoben. Der Stationsvorsteher wollte schon die Kelle heben, da fiel ihm ein, daß er noch den Käfig mit dem Wellensittich in der Hand hielt. Er reichte ihn Oma hinauf, und dann rief er endlich: »Achtung, Türen schließen, Abfahrt!«
Aber er mußte noch ein Stück neben dem fahrenden Zug herlaufen, weil Oma sich aus dem Fenster lehnte und rief: »Vergessen Sie den Zwiebelsaft nicht. Und hinterher geben Sie dem Willi ein Stück Kandiszucker!«
Der Stationsvorsteher nickte und winkte, und Vater, Mutter und Heiner winkten auch.
Die Reisenden setzten sich wieder auf ihre Plätze.
Der Herr mit der Baskenmütze sah nach der Uhr und murmelte empört: »Zwölf Minuten Zugverspätung wegen einer Oma!«
Pieselangs richteten sich in ihrem Abteil ein. Ingeborg zog Peter den Mantel aus, aber die Mütze ließ er sich nicht abnehmen; er behielt sie auf und wagte es kaum, sich anzulehnen, um sie nicht zu zerdrücken. Brigitte flocht ihren aufgegangenen Zopf, Jan schnürte seinen Rucksack auf, holte ein großes Stück Kuchen heraus und biß hinein.
Oma hatte den Käfig mit Paulchen auf die Bank neben sich gestellt. Sie öffnete ihre große, schwarze Reisetasche, nahm eine Tüte heraus, gab jedem ein Bonbon, steckte sich selbst eins in den Mund, holte das Strickzeug hervor und fing an zu stricken.
»Oma«, sagte Jan mit vollem Mund, »erzähl bitte von Onkel Ludi!«
»Ich habe euch doch schon so oft von ihm erzählt.«
»Macht nichts«, rief Brigitte, »erzähl es noch mal, es ist so spannend!«
»Also gut, dann hört zu. Onkel Ludi ist mein jüngerer Bruder. Er war schon als Kind ganz vernarrt in Tiere und hatte stets einen ganzen Zoo in seinem Zimmer. Weil er die Zimmertür nicht immer zuhielt, fanden wir oft an den merkwürdigsten Stellen im Haus Tiere, zum Beispiel einen Hamster im Mehltopf, eine Kröte im Nähkorb der Mamsell, die deshalb in Ohnmacht fiel, und eine Schlange in meinem Bett. Später studierte Onkel Ludi Zoologie, dann lebte er ein Jahr in Afrika, um dort die Tiere zu beobachten, und schließlich wurde er Zoodirektor.«
»Werden wir bei ihm im Zoo wohnen?« fragte Jan.
»Ja, seine Haushälterin hat vier Wochen lang Urlaub, und er hat mich gebeten, sie zu vertreten.«
»Gibt’s da auch ganz große Tiere, Elefanten und so?« fragte Peter ängstlich.
»Na klar!« antwortete Jan. »Was wäre ein Zoo ohne Elefanten?«
»Die Elefanten will ich nicht sehen«, sagte Peter energisch. »Da mache ich lieber die Augen zu.«
»Angsthase, Angsthase!« rief Jan.
»Weiß Onkel Ludi, daß ich mitkomme?« fragte Ingeborg.
Oma schüttelte den Kopf. »Nein, aber es wird ihm nur recht sein, wenn er zwei Haushälterinnen statt einer bekommt.«
»Aber die Kinder — er weiß doch, daß die Kinder mitkommen?«
Oma sah Ingeborg nicht an, sie zählte Maschen und war sehr vertieft. »Die Kinder sollen eine Überraschung für ihn sein«, sagte sie schließlich.
»Aber Oma, du hast mir doch erzählt, daß er Kinder nicht mag und immer sagt, sie quälten Tiere und machten nur Unfug.«
Oma hob das Strickzeug dicht an die Augen, um eine Masche aufzunehmen. »Unsere Kinder quälen keine Tiere und sind überhaupt brav wie die Engel.«
Ingeborg blickte zweifelnd auf Jan und Peter, die sich um Peters Mütze rauften, und zog Brigitte zurück, die sich weit aus dem Fenster lehnte.
»Ach, Oma!« seufzte sie.
Oma legte das Strickzeug beiseite und sah Ingeborg liebevoll an. »Beruhige dich, mein Kind, Onkel Ludi wird sich an uns gewöhnen. Und für die Kinder ist es doch etwas Wunderbares, einmal vier Wochen lang in einem Zoo zu leben, mitten zwischen all den Tieren.«
Es war Abend, als sie in der großen Stadt vor dem Zoo anlangten. Ein Wärter ließ gerade die letzten Besucher
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