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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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hatte, und was sie wirklich fühlte, blieb vollkommen im Dunkeln. Vielleicht wusste sie es selbst nicht. Das schien mir die plausibelste Erklärung - Margot in Bedrängnis, Margot zerrissen von gleich starken, einander widerstrebenden Kräften - aber nach diesen fünf Nächten mit ihr konnte ich mich nicht anders als verletzt und im Stich gelassen fühlen. Ich versuchte, Ruhe zu bewahren - hoffte, sie werde anrufen, hoffte, sie werde es sich anders überlegen und zu mir zurückkommen -, aber im Innersten wusste ich, dass es aus war, dass ihre Befürchtung, mich niemals wiederzusehen, in Wirklichkeit eine Prophezeiung war und sie für immer aus meinem Leben verschwunden.
    Unterdessen war Born nach New York zurückgekommen, aber auch nach einer Woche hatte ich noch nichts von ihm gehört. Je länger sein Schweigen währte, desto deutlicher wurde mir bewusst, wie sehr ich seinen Anruf fürchtete. Hatte Margot ihm erzählt, was sie und ich während seiner Abwesenheit getrieben hatten? Waren die beiden noch zusammen, oder war sie längst wieder in Frankreich? Nach drei oder vier Tagen begann ich zu hoffen, dass er mich vergessen hatte, dass ich ihn niemals wiedersehen musste. Aus der Zeitschrift konnte natürlich nichts mehr werden, aber das kümmerte mich jetzt kaum noch. Ich hatte ihn verraten, ich hatte mit seiner Freundin geschlafen, und selbst wenn er mich mehr oder weniger dazu ermuntert hatte, war ich nicht gerade stolz auf mich - besonders nachdem Margot mir erklärt hatte, dass ich sie nicht mehr brauchte, was, wie ich jetzt begriff, nur hieß, dass sie mich nicht mehr brauchte. Ich hatte alles vermasselt, und als der Feigling, der ich wahrscheinlich war, hätte ich mich lieber unterm Bett versteckt, als den beiden noch einmal unter die Augen treten zu müssen.
    Aber Born hatte mich nicht vergessen. Gerade als ich zu glauben begann, die Geschichte sei aus, rief er eines Abends an und lud mich auf ein Schwätzchen in seine Wohnung ein.
    Genau dieses Wort benutzte er - Schwätzchen -, und ich war fassungslos darüber, wie aufgekratzt er am Telefon klang, als berste er schier vor Energie und guter Laune.
    Entschuldigen Sie, dass ich mich erst so spät melde, sagte er. Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Walker, aber ich war beschäftigt, beschäftigt, hatte dies und jenes und tausend andere Dinge zu tun, wofür ich tausendmal um Verzeihung bitte, aber die Zeit rennt, und jetzt ist es so weit, wir müssen uns hinsetzen und zur Sache kommen. Ich schulde Ihnen einen Scheck für die erste Ausgabe, und wenn wir mit unserem Schwätzchen fertig sind, lade ich Sie irgendwo zum Essen ein. Wir haben lange nicht miteinander gesprochen, und ich glaube, wir haben einiges nachzuholen.
    Ich wollte nicht, aber ich ging hin. Nicht ohne Zittern und Zagen, nicht ohne ein Flattern in der Magengrube, aber letztlich blieb mir keine andere Wahl. Wie durch ein Wunder schien die Zeitschrift noch am Leben zu sein, und wenn er mit mir darüber reden wollte, wenn er tatsächlich bereit war, mir dafür einen Scheck auszustellen, sah ich keinen Grund, seine Einladung abzulehnen. Ich glaube, wir haben einiges nachzuholen. Ob es mir gefiel oder nicht, ich würde herausfinden, ob Born wusste, was hinter seinem Rücken vorgegangen war - und wenn er es wusste, was genau er deshalb unternommen hatte.
    Er war wieder ganz in Weiß gekleidet: der vollständige Anzug, das Hemd, am Kragen offen, diesmal aber sauber und unzerknittert, der perfekte Hidalgo. Frisch rasiert, die Haare gekämmt, so schick und gepflegt, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Ein warmes Lächeln, als er mir die Tür aufmachte, ein fester Händedruck, als ich in die Wohnung trat, ein freundliches Schulterklopfen, als er mich an die Hausbar führte und fragte, was ich trinken wollte, aber keine Margot, keine Spur von ihr, und auch wenn das nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben musste, begann ich allmählich, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Dann saßen wir an den großen Fenstern mit Blick auf den Park, ich auf dem Sofa, er mir gegenüber auf einem Sessel, zwischen uns der Couchtisch. Born stellte ein strahlendes Lächeln zur Schau, so zufrieden mit sich, so ungeheuer glücklich, als er mir erzählte, sein Ausflug nach Paris sei ein durchschlagender Erfolg gewesen und das verwickelte Problem, das seine Kollegen so konfus gemacht habe, sei nun endlich gelöst. Dann, nach einigen oberflächlichen Fragen nach meinem Studium und den Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen hatte, lehnte

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