Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
das letzte Mal, und bevor ihre Wege sich endgültig trennen, soll sie die Wahrheit erfahren. Als er die Geschichte zu Ende erzählt hat, steht sie auf und verschwindet hastig Richtung Toilette.
    Er kann sich nicht sicher sein, ob sie zurückkommen wird. Sie hat ihre Handtasche mitgenommen, und da es ein warmer, freundlicher Tag ist, trug sie weder Mantel noch Jacke, als sie das Cafe betrat, weshalb also weder Mantel noch Jacke über der Rückenlehne ihres Stuhls hängen. Walker beschließt, ihr eine Viertelstunde zu geben; wenn sie bis dahin nicht an den Tisch zurückgekehrt ist, wird er gehen. Unterdessen bestellt er beim Kellner noch etwas zu trinken. Nein, diesmal keinen Kaffee, sagt er. Bringen Sie mir ein Bier.
    Margot bleibt fast zehn Minuten lang verschwunden. Als sie wieder auf ihrem Stuhl Platz nimmt, bemerkt Walker ihre geschwollenen Lider und den glasigen Schimmer in ihren Augen, aber ihr Make-up ist intakt, und ihre Wangen sind nicht mehr mit Mascara verschmiert. Er denkt: Gwyns Mascara am Abend von Andys Geburtstag; Margots Mascara an einem Septembernachmittag in Paris; das weinende Mascara des Todes.
    Verzeih mir, sagt sie mit gedämpfter Stimme. Was du mir eben erzählt hast ... ich ... ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.
    Aber du glaubst mir doch?
    Ja, ich glaube dir. Kein Mensch könnte sich so etwas ausdenken.
    Entschuldige. Ich wollte dich nicht beunruhigen, aber ich dachte, du solltest wissen, was passiert ist - nur für den Fall, dass du jemals in Versuchung geraten solltest, zu ihm zurückzugehen.
    Das Seltsame daran ist... es überrascht mich nicht...
    Hat Born dich jemals geschlagen?
    Nur ein einziges Mal. Eine Ohrfeige. Ein harter, wütender Schlag ins Gesicht. Nur einmal?
    Nur einmal. Aber er steckt voller Gewalt. Hinter all seinem Charme und den geistreichen Scherzen steckt echte Wut, echte Gewalt. Ich gestehe das jetzt nur sehr ungern, aber ich glaube, das hat mich erregt. Nie zu wissen, ob ich ihm trauen konnte oder nicht, nie zu wissen, was er als Nächstes tun würde. Mich hat er nur dieses eine Mal geschlagen, aber mit anderen Männern hat er sich mehrmals geprügelt, als wir zusammen waren. Du hast ihn ja erlebt. Du weißt, wie er ist, wenn er getrunken hat. Ich vermute, das geht auf seine Zeit bei der Armee zurück, auf den Krieg, die furchtbaren Dinge, die er im Krieg getan hat. Gefangene foltern. Das hat er mir mal gestanden, dass er in Algerien Gefangene gefoltert hat. Am nächsten Tag hat er das wieder bestritten, aber ich habe ihm nicht geglaubt, auch wenn ich so getan habe als ob. Die erste Geschichte war die Wahrheit, das weiß ich.
    Und das Messer, das er in seinem Jackett trägt? Hat dir das nicht Angst gemacht?
    Ich nehme die Leute, wie sie sind, Adam. Ich stelle nicht viele Fragen. Wenn er ein Messer bei sich tragen wollte, dann war das seine Sache, fand ich. Er sagte, die Welt sei gefährlich, ein Mann müsse sich wehren können. Nach dem, was ihr an diesem Abend in New York erlebt habt, kannst du ihm da kaum widersprechen, oder?
    Meine Schwester hat dazu eine Theorie. Ich kann das nicht beurteilen, aber sie meint, Born habe mich auf der Party angesprochen, weil er sich sexuell zu mir hingezogen gefühlt habe. Sie sprach von homoerotischer Anziehung. Was meinst du? Könnte sie recht haben?
    Es ist möglich. Alles ist möglich.
    Hat er dir jemals erzählt, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt?
    Nein. Aber das heißt gar nichts. Ich kann dir nicht sagen, was er getan hat, bevor ich mit ihm zusammengezogen bin. Ich weiß nicht einmal, was genau er alles getan hat, während wir zusammen waren. Wer kennt schon die geheimen Wünsche eines anderen? Solange der andere nichts davon in Taten oder Worten nach außen dringen lässt, sind wir ahnungslos. Ich kann nur von dem reden, was ich mit eigenen Augen gesehen habe - und gesehen habe ich Folgendes. Ganz zu Beginn unserer Beziehung hatten Rudolf und ich einen Dreier mit einem anderen Mann. Das war meine Idee. Rudolf hat mitgemacht, um mir einen Gefallen zu tun, um mir zu beweisen, dass er bereit war, alles zu tun, was ich von ihm verlangte. Der andere Mann war ein alter Freund von mir, mit dem ich früher geschlafen hatte, ein außerordentlich gutaussehender Bursche. Wenn Rudolf sich zu ihm hingezogen gefühlt hätte, müsste er ihn wohl geküsst haben, oder? Er hätte nach seinem Schwanz gegriffen und ihm einen geblasen. Aber das alles hat er nicht getan. Es hat ihm Spaß gemacht, mir und Francois zuzusehen; mir ist

Weitere Kostenlose Bücher