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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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hässliches Loch von einem Zimmer zeigen könne. Da Margot selten an etwas anderes denkt als Sex, durchschaut sie Walkers Absicht sofort, und um ihm das zu zeigen, lächelt sie ihn leise an.
    Ich war nicht sehr nett zu dir in New York, oder?, sagt sie.
    Du warst außerordentlich nett zu mir. Jedenfalls eine Zeitlang. Dann jedoch, stimmt, nicht mehr sehr nett.
    Tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe. Es war eine schlimme Zeit für mich. Ich wusste nicht, was ich tat, und dann wollte ich plötzlich nur noch raus aus New York. Nimm mir das bitte nicht übel.
    Tu ich nicht. Zugegeben, ein paar Wochen lang war ich wütend, aber das war's dann auch. Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, dir Vorwürfe zu machen.
    Wir können jetzt Freunde sein?
    Das hoffe ich.
    Aber nicht zu eng, damit das klar ist. Nicht jede Minute, nicht jeden Tag. Dazu bin ich nicht bereit. Und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder dazu bereit sein werde. Aber wir sollten ein bisschen aufeinander aufpassen. Das könnte gut für uns beide sein.
    Als sie zum Hotel gehen, spürt Walker, die Frau neben ihm ist nicht mehr die Margot, die er im vorigen Frühling in New York kennengelernt hat. Er hatte richtig vermutet, dass sie in ihrer Muttersprache, in ihrer Heimatstadt, in der Zeit nach der Trennung von Born eine andere sein würde, und aus dem Gespräch im Cafe kann er nur schließen, dass sie offener, wortgewandter und verletzlicher ist, als er sich bis dahin eingebildet hatte. Trotzdem, noch während er sich ausmalt, wie sie gleich im Hotel ankommen werden - die Wendeltreppe hinaufsteigen, den Schlüssel ins Schloss seiner Tür stecken, ihre Kleider ablegen, der Anblick von Margots kleinem nackten Körper, die Berührung ihrer Körper -, fragt er sich, ob er nicht einen kolossalen Fehler begangen hat.
    Anfangs läuft es gar nicht gut. Margot sagt nichts zu seinem Zimmer, entweder aus Höflichkeit, oder weil sie zu apathisch ist, etwas dazu zu bemerken, während Walker gar nicht anders kann, als das Zimmer mit ihren Augen zu sehen, und plötzlich überwältigt ihn ein Gefühl von Peinlichkeit und Entsetzen, dass er sie in diese schäbige, trostlose Absteige geschleppt hat. Seine Stimmung sinkt unter den Nullpunkt, und als die beiden auf dem Bett erste Küsse austauschen, ist er überhaupt nicht bei der Sache, erschreckend unbeteiligt. Margot zieht sich zurück und fragt, ob etwas nicht stimme. Spinn jetzt nicht rum, Adam, sagt sie. Wir wollten doch Spaß haben, schon vergessen?
    Er kann ihr nicht sagen, dass er an Gwyn denkt, dass er in dem Augenblick, da ihre Lippen sich berührten, von der Erinnerung an das letzte Mal übermannt wurde, dass sein Mund den Mund seiner Schwester berührt hatte, und als er sich jetzt zusammenreißt, um Margot zu küssen, hat er nur noch den einen Gedanken, dass er seine Schwester niemals mehr so in den Armen wird halten können.
    Ich weiß nicht, was mit mir ist, sagt er. Ich bin so traurig ... so gottverdammt traurig.
    Dann sollte ich wohl gehen, sagt Margot und klopft ihm freundlich auf den Rücken. Sex ist schließlich kein Pflichtfach. Versuchen wir es ein andermal.
    Nein, geh nicht. Ich möchte nicht, dass du gehst. Lass mir nur ein bisschen Zeit. Ich werd schon wieder, bestimmt.
    Margot lässt ihm Zeit, und nach und nach wühlt er sich aus seiner Melancholie heraus, vielleicht nicht ganz, aber doch genug, dass er Erregung verspürt, als sie ihr Kleid auszieht und er seine Arme um ihre bloße Haut legt, genug, mit ihr Liebe zu machen, genug, zweimal mit ihr Liebe zu machen, und als sie dazwischen eine Pause einlegen und aus der Rotweinflasche trinken, die er am Vormittag in sein Zimmer gebracht hat, steigert Margot seine Erregung noch mit drastischen Geschichten von ihren sexuellen Begegnungen mit anderen Frauen, von ihrer Leidenschaft für große Brüste, sie zu berühren, zu küssen (weil ihre eigenen so klein sind), die Mosen anderer Frauen zu lecken, zu streicheln, ihre Zunge tief ins Arschloch anderer Frauen zu schieben, und auch wenn Walker nicht beurteilen kann, ob das wahre Geschichten sind oder bloß ein Trick von ihr, ihm zu einer Erektion für ein zweites Mal zu verhelfen, hört er diesen schmutzigen Reden doch gerne zu, so wie er auch Gwyns schmutzigen Reden in der Wohnung in der 107th Street gern zugehört hat. Er fragt sich, ob Worte nicht ein wesentliches Element des Sex sind, ob Reden am Ende nicht eine subtilere Form der Berührung ist, ob die Bilder, die uns durch den Kopf tanzen, nicht

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