Unsichtbar
kauft am Tresen einen Jeron für das Münztelefon und begibt sich nach unten; er schlägt die Nummer der Jouffroys im Telefonbuch nach und schöpft Mut, als gleich beim ersten Klingeln jemand abnimmt - dann aber erschrickt er, denn die Person am anderen Ende ist Margot selbst.
Walker besteht darauf, das Gespräch auf Französisch zu führen. Im Frühjahr haben sie manchmal Französisch miteinander gesprochen, meist jedoch Englisch, und auch wenn Margot nie viel Worte macht, ist Walker sich im Klaren darüber, dass sie sich in ihrer Muttersprache sicherer fühlt. Jetzt in Paris liegt ihm daran, Margot ihr Französischsein zurückzugeben; dahinter steckt die Überlegung, dass sie sich in ihrem Land und ihrer Sprache vielleicht als ein etwas anderer Mensch darstellen könnte. Die wahre Margot, sozusagen, zu Hause in der Stadt ihrer Geburt, und nicht eine unzufriedene, feindselige Besucherin, gestrandet in einem Amerika, das ihr schier unerträglich ist.
Sie bringen die übliche Litanei von Fragen und Antworten hinter sich. Was um alles in der Welt macht er in Paris? Wie geht es ihm? War es reine Glücksache, dass sie ans Telefon gegangen ist, oder wohnt sie bei ihren Eltern? Was macht sie jetzt? Hat sie Zeit, sich auf eine Tasse Kaffee mit ihm zu treffen? Sie zögert kurz und überrascht ihn dann mit der Antwort: Warum nicht? Sie verabreden sich in einer Stunde im La Palette.
Es ist vier Uhr nachmittags, und Walker trifft zuerst ein, zehn Minuten zu früh. Er bestellt eine Tasse Kaffee, wartet eine halbe Stunde lang und gelangt allmählich zu der Überzeugung, dass sie ihn versetzt hat, aber gerade als er schließlich gehen will, tritt Margot zur Tür herein. Sie kommt mit ihren langsamen, zerstreuten Bewegungen auf ihn zu, öffnet die Lippen zu einem flüchtigen Lächeln, küsst ihn freundlich auf beide Wangen und setzt sich auf den Stuhl ihm gegenüber. Sie entschuldigt sich nicht für ihr Zuspätkommen. Margot ist nicht die Frau, die so etwas tun würde, und er erwartet es auch nicht von ihr, nicht im Traum würde ihm einfallen, sie zu bitten, sich an irgendwelche anderen Regeln zu halten als ihre eigenen.
En francais, alors?, sagt sie.
Ja, antwortet er auf Französisch. Deswegen bin ich hier. Um mein Französisch zu üben. Da du die einzige Französin bist, die ich kenne, habe ich gehofft, es mit dir üben zu können.
Ah, so ist das. Du möchtest mich zur Weiterbildung benutzen.
Gewissermaßen. Aber das ist nicht alles, soll heißen, wir müssen nicht unablässig reden, wenn du nicht willst.
Margot lächelt, dann wechselt sie das Thema und bittet ihn um eine Zigarette. Als er ihr die Gauloise anzündet, sieht Walker sie an und begreift plötzlich, dass er niemals fähig sein wird, sie in seinen Gedanken von Born zu trennen. Die Erkenntnis ist grotesk und beraubt ihn auf der Stelle des verspielten, verführerischen Tonfalls, den er eigentlich anschlagen wollte. Es war dumm, sie anzurufen, denkt er, dumm, sich einzubilden, er könne sie dazu bringen, wieder mit ihm ins Bett zu steigen, indem er so tat, als seien die schrecklichen Dinge des Frühjahrs nie geschehen. Auch wenn Margot nicht mehr mit Born zusammen ist, ist sie in Walkers Erinnerung immer noch mit diesem Mann verbunden, und wenn er sie vor Augen hat, sieht er zugleich auch Born selbst. Er kann sich nicht bremsen, er erzählt ihr von dem Spaziergang am Riverside Drive an jenem Maiabend nach ihrer Abreise aus New York. Er schildert die Messerstecherei. Er erklärt ihr rundheraus, dass Born ohne jeden Zweifel der Mörder von Cedric Williams ist.
Während er die grausigen Einzelheiten jener Nacht und der folgenden Tage schildert, beobachtet er aufmerksam Margots Gesicht, und ausnahmsweise einmal erscheint sie ihm wie ein normales menschliches Wesen, ein untotes Mitgeschöpf, das über ein Gewissen und die Fähigkeit verfügt, Schmerz zu empfinden, und so sehr er Margot mag, stellt er fest, dass es ihm Vergnügen bereitet, ihr so zuzusetzen, ihr so wehzutun, ihren Glauben an einen Mann zu zerstören, mit dem sie zwei Jahre lang zusammengelebt hat, einen Mann, den sie angeblich geliebt hat. Margot weint jetzt. Er fragt sich, ob sein Verhalten etwas damit zu tun hat, wie sie ihn in New York behandelt hat. Ist das seine Rache dafür, dass er, kaum dass ihre Affäre begonnen hatte, wieder in die Wüste geschickt worden war? Nein, das kommt ihm nicht so vor. Er redet mit ihr, weil er weiß, dass er mit ihr zugleich immer Born sehen wird, und daher ist dies
Weitere Kostenlose Bücher