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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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nicht entgangen, wie erregt er war, als Francois' Schwanz in mich eindrang, aber er hat ihn in keiner Hinsicht sexuell angerührt. Beweist das irgendetwas? Ich weiß es nicht. Ich kann dir nur sagen, dass ich, als wir dich auf der Party in New York gesehen haben, zu Rudolf sagte, du seist einer der schönsten Jungen, die ich je gesehen habe. Er hat mir zugestimmt. Er sagte, du sähest aus wie ein gequälter Adonis, wie Lord Byron am Rand eines Nervenzusammenbruchs. Aber bedeutet das, dass er dich anziehend fand? Vielleicht ja, vielleicht nein. Du bist eine Ausnahme, Adam, und zwar bist du gerade deswegen eine Ausnahme, weil du gar nicht weißt, welche Wirkung du auf andere Leute ausübst. Mir kommt es völlig plausibel vor, dass ein heterosexueller Mann sich in dich verknallen könnte. Vielleicht ist es Rudolf so ergangen. Aber sicher wissen kann ich das nicht, weil er, selbst wenn es so war, nie ein Wort davon gesagt hat.
    Er will heiraten. Hast du das gewusst? Zumindest hat er das behauptet, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe.
    Ja, ich weiß. Ich kenne die ganze Geschichte. Das war mein Ausreisevisum aus dieser Affäre. Adieu, falsche Schlange Margot. Hallo, engelsgleiche Helene Juin.
    Das klingt verbittert ...
    Nein, ich bin nicht verbittert. Nur verwirrt. Ich kenne sie, musst du wissen, ich kenne sie schon lange, und ich werde einfach nicht schlau daraus. Helene ist mindestens fünf, sechs Jahre älter als Rudolf, sie hat eine achtzehn Jahre alte Tochter, und ich kann von ihr nur sagen, dass sie sehr langweilig ist, sehr gewöhnlich, sehr anständig. Eine nette Person, klar, eine nette, fleißige Bourgeoise mit einer tragischen Geschichte, aber ich begreife nicht, was er in ihr sieht. Der verrückte Rudolf wird sich mit ihr zu Tode langweilen.
    Er hat gesagt, er liebe sie.
    Das wird wohl auch so sein. Aber deswegen muss er sie ja nicht gleich heiraten.
    Tragische Geschichte. Das hat mit ihrem ersten Mann zu tun, richtig? Ich habe das nicht ganz verstanden, als er davon erzählt hat.
    Juin ist ein guter Freund von Rudolf. Vor sechs oder sieben Jahren hatte er einen schlimmen Autounfall. Grässlich, er hatte einen Schädelbruch und alle möglichen inneren Verletzungen, aber irgendwie hat er überlebt. Falls man das so nennen kann. Er liegt seitdem im Koma, mehr oder weniger hirntot, künstlich am Leben erhalten im Krankenhaus. Jahrelang hat Helene die Hoffnung nicht aufgegeben, aber sein Zustand hat sich nie gebessert und wird sich auch nie bessern, und schließlich haben ihre Freunde und Verwandten sie überredet, die Scheidung einzureichen. Wenn das Verfahren im nächsten Frühjahr abgeschlossen ist, ist sie frei und kann wieder heiraten. Gut für sie, aber ich hätte nie gedacht, dass sie ausgerechnet Rudolf nehmen würde. Ich habe mindestens ein Dutzend Mal mit den beiden zu Abend gegessen, und nie habe ich irgendwelche stärkeren Gefühle bei ihnen bemerkt. Freundschaft, das schon, aber keine ... keine ... wie heißt das Wort, das mir jetzt nicht einfällt?
    Funken.
    Richtig. Keine Funken.
    Er fehlt dir immer noch, stimmt's?
    Nicht mehr. Nicht mehr nach dem, was du mir heute erzählt hast.
    Aber vorher schon.
    Ja. Ich wollte das nicht, aber so war es. Der Mann ist ein Irrer.
    Allerdings. Aber welches Gesetz schreibt vor, dass man einen Irren nicht lieben darf?
    Danach schweigen beide, wissen nicht mehr, was sie sagen, was sie denken sollen. Margot sieht auf ihre Uhr, und Walker nimmt an, gleich wird sie sagen, sie komme zu spät zu einer Verabredung, sie müsse sofort los. Stattdessen fragt sie ihn, ob er für den Abend schon etwas vorhabe, und falls nicht, ob er mit ihr in ein Restaurant gehen wolle? Sie kennt ein gutes Lokal in der rue des Grands Augustins und möchte ihn gern einladen, falls er knapp bei Kasse ist. Walker will sagen, das gehe nicht, er glaube nicht, dass er ihren Anblick noch ertragen kann, er finde, dass sie ihre Freundschaft beenden sollten, aber er bringt es nicht über sich, das auszusprechen. Er ist zu einsam, ihr Angebot auszuschlagen, zu schwach, dem einzigen Menschen, den er in Paris kennt, den Rücken zu kehren. Ja, sagt er, er wolle gern mit ihr essen gehen, aber es sei noch früh, nicht mal sechs Uhr, und was wollen sie bis dahin unternehmen? Was du willst, sagt Margot und meint ganz wörtlich alles, was er will, und da er vor allem anderen mit ihr ins Bett steigen will, schlägt er vor, sie sollten in sein Hotel in der rue Mazarine gehen, damit er ihr sein lächerlich

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