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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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der mit einem Geschenk auftaucht, ein gutgelaunter Mensch, doch Margot macht heute einen verstimmten, ärgerlichen Eindruck und bringt kaum ein Lächeln zustande, als sie Walker einen frostigen, mechanischen Kuss auf die Lippen drückt. Als Walker seine Arme um sie legt, windet sie sich heraus, schreitet ins Zimmer, wirft die Tüte auf den Tisch und setzt sich auf das ungemachte Bett. Walker schließt die Tür, geht zum Tisch und bleibt stehen.
    Stimmt was nicht?, fragt er.
    Bei mir stimmt alles, antwortet Margot. Ich will wissen, was mit dir nicht stimmt.
    Mit mir? Was soll mit mir nicht in Ordnung sein? Wovon redest du?
    Gestern Abend ging ich mit einer Freundin zufällig auf dem Boulevard Saint-Germain spazieren. Es war gegen halb neun, neun Uhr. Wir kamen an diesem Restaurant vorbei, du weißt genau, welches ich meine, die alte Brasserie Vagenende, und aus irgendeinem Grund, weil ich ein Riesenidiot bin oder vielleicht auch nur, weil ich als kleines Mädchen dort oft mit meinen Eltern war, habe ich durchs Fenster hineingespäht. Und was glaubst du, wen ich da gesehen habe?
    Ah, sagt Walker, der sich fühlt, als habe er eine Ohrfeige bekommen. Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich kenne die Antwort.
    Was führst du im Schilde, Adam? Auf was für eine Dummheit hast du dich jetzt wieder eingelassen?
    Walker sinkt auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch. In seinen Lungen ist keine Luft mehr; gleich fällt ihm der Kopf von den Schultern. Er wendet den Blick von Margot ab, deren Augen ihn nicht loslassen, und beginnt an der Tüte mit den Croissants herumzufummeln.
    Nun?, sagt sie. Willst du nicht reden?
    Doch, ich will, sagt er schließlich. Ich will dir alles erzählen.
    Warum tust du's dann nicht?
    Weil ich nicht weiß, ob ich dir trauen kann. Du darfst keinem ein Wort davon verraten, verstehst du? Das musst du mir versprechen.
    Für wen hältst du mich?
    Keine Ahnung. Für jemanden, der mich enttäuscht hat. Für jemanden, den ich sehr gern habe. Für jemanden, mit dem ich befreundet sein möchte.
    Aber du meinst, ich kann ein Geheimnis nicht für mich behalten.
    Kannst du?
    Bis jetzt hat mich noch niemand darum gebeten. Wie kann ich das wissen, wenn ich es nicht ausprobiere? Na, das ist immerhin ehrlich.
    Die Entscheidung liegt bei dir. Ich werde dich nicht zwingen, wenn du nicht reden willst. Aber wenn du nicht redest, Adam, stehe ich auf und gehe, und du siehst mich nie wieder.
    Das ist Erpressung.
    Nein, ist es nicht. Das ist die schlichte Wahrheit, sonst nichts.
    Walker gibt sich mit einem langen Seufzer geschlagen, steht vom Stuhl auf und beginnt vor Margot, die ihn vom Bett aus schweigend beobachtet, auf und ab zu gehen. In den nächsten zehn Minuten erzählt er ihr die Geschichte der vergangenen Tage: die zufällige Begegnung mit Born, von der er jetzt argwöhnt, dass sie kein Zufall war, Borns fadenscheinige Behauptung, nichts mit dem Mord an Cedric Williams zu tun zu haben, die Einladung, Helene und Cecile kennenzulernen, die Visitenkarte, die er beinahe zerrissen hätte, dann der Plan, Borns Hochzeit mit Helene zu vereiteln, der zerknirschte Anruf, um den Plan in Gang zu bringen, das Essen im Vagenende, sein bevorstehendes Treffen mit Cecile um vier Uhr an diesem Nachmittag. Als Margot sich das alles angehört hat, klopft sie mit der linken Hand aufs Bett und fordert Walker auf, sich neben sie zu setzen. Walker nimmt Platz, und kaum berührt sein Körper die Matratze, packt Margot ihn mit beiden Händen an den Schultern, dreht ihn zu sich herum, schiebt ihr Gesicht dicht vor seines und sagt mit leiser, sehr entschlossener Stimme: Gib's auf, Adam. Du hast keine Chance. Der macht Hackfleisch aus dir.
    Zu spät, sagt Walker. Ich habe das jetzt angefangen, und ich werde erst aufhören, wenn ich es zu Ende gebracht habe.
    Du redest von Vertrauen. Wie kommst du darauf, dass du Helene Juin trauen kannst? Du hast sie nur einziges Mal gesehen.
    Ich weiß. Es wird eine Weile dauern, ehe ich mir sicher sein kann. Aber mein erster Eindruck von ihr war gut. Sie erscheint mir als eine solide, aufrichtige Person, und ich glaube nicht, dass ihr Born wirklich sehr am Herzen liegt. Sie ist ihm dankbar, er war nett zu ihr, aber sie liebt ihn nicht.
    Wenn du ihr erzählst, was in New York passiert ist, wird sie auf der Stelle zu Rudolf gehen. Garantiert.
    Möglich. Aber selbst wenn sie das tut - was kann mir schon passieren?
    Alles Mögliche.
    Born könnte versuchen, mir ins Gesicht zu schlagen, aber er wird nicht mit seinem

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