Unsichtbare Blicke
herstellte.
Den Ergebnissen der Rotterdamer Kollegen von der kriminaltechnischen Abteilung zufolge hatten die Holzperlen mehrere Teilabdrücke aufgewiesen, die allerdings nicht ausreichten, um sie einer Person zuzuordnen. Interessanter waren hingegen kleinste Hautpartikel am Verschluss und an einem gesplitterten Perlchen gewesen.
«Beide stammen von einer Person, beide nicht von Sarah, und beide sehen so aus.»
Saito tippte eine Datei an, dann eine zweite und eine dritte. Das bunte Gewirr war für Stella schon immer kaum zu lesen, und gewöhnlich ließ sie es sich von den Experten erklären und am Ende eine Prozentzahl nennen.
«Das Ergebnis ist absolut eindeutig», sagte Saito.
Stella meinte, einen leisen Triumph zwischen den Silben zu erspüren. «Spuck es schon aus.»
«Dieses dritte Muster gehört zu dem Sperma. Es ist eine Person, und diese Person, darauf wette ich, steht mit Wölke an der Pommesbude.»
«Es sieht so aus, als müssten wir ein intensiveres Gespräch mit Felix Diuso führen», sagte Stella.
42
Ich konnte ihn mit meinem Schweigen scheinbar nicht treffen. Er blieb absolut ruhig, saß eine Weile bei mir und ging dann wieder. Schon nach nicht allzu langer Zeit wurde es schwierig, weil ich zur Toilette musste.
Ich schlug mit der flachen Hand gegen die Tür.
Es hallte dumpf, machte aber keinen besonderen Krach. Trotzdem erschien er nach wenigen Minuten und fragte, was ich wolle. Ich sagte nichts.
Du musst mit ihm reden, dachte ich, es geht nicht anders, was soll dein Schweigen schon ausrichten, rede mit ihm, vielleicht kannst du ihn irgendwie um den Finger wickeln. Unsinn, rief etwas viel Stärkeres in mir, Unsinn!
Mein Entschluss stand fest. Kein Wort. Keine Bitte. Und so wenig wie möglich von dem zeigen, was in mir vorging.
Trotzdem musste ich pinkeln.
Er lächelte mich freundlich an. Anscheinend ahnte er, was ich wollte.
«Wenn ich hier bin, kannst du die Toilette draußen benutzen. Ich will dich nicht quälen, verstehst du? Ganz und gar nicht, alles andere, das kannst du mir glauben.»
Meine Zähne knirschten im Kiefer, so heftig musste ich sie zusammenbeißen, um ihn nicht anzuschreien. Nicht quälen? Dann geh mir aus dem Weg und lass mich auf der Stelle raus. Spar dir dein widerliches Lächeln, du bist kein netter Mensch, das ist keine Suite mit Zimmerservice.
«In Ordnung. Du gehst einfach vor mir her. Am Ende des Gangs, die linke Tür. Ich weiß, dass du dich noch an alles gewöhnen musst.»
Er ließ mich aus diesen elenden paar Quadratmetern hinaus. Die Freude wogte durch meinen Körper, aber ich gewährte ihr keinen Hauch einer Regung in meinem Gesicht, auch nicht, als er tatsächlich zur Seite trat, um mich durchzulassen. Wenn sich nur die geringste Möglichkeit auftat, irgendwie hier rauszukommen, würde ich sie nutzen, das stand fest.
Seine Großzügigkeit hatte einen einfachen Grund.
Meine Stimmung schwankte zwischen Verzweiflung und Wut, so wie es die ganze Zeit über gewesen war. Nackte graue Wände, Beton, der von grellen Neonröhren bis in den letzten Winkel kaltblau ausgeleuchtet war.
Kein Fenster am Ende des Ganges, keine Treppe, die irgendwohin führte. Unter der Decke gab es an jedem Ende der vielleicht zehn oder zwölf Meter einen Belüftungsschacht wie in dem Raum, den er zu meinem Zimmer zu machen versucht hatte. Eine Stahltür lag auf der linken Seite, ganz hinten eine normale Holztür, auf der rechten, insgesamt drei Zugänge, die ebenfalls eher an Tresore als an Zimmertüren erinnerten.
Die Türen hatten Sichtluken mit schmalen Schiebern, um sie zu öffnen und zu schließen. Von innen war es mir nicht aufgefallen, weil das Filmplakat von Twilight es verdeckte. Es war das Original, er hatte es aus meinem Zimmer zu Hause mitgenommen; die Ecken oben und unten rechts fehlten, daran erkannte ich es. Sarah und ich hatten es aus der Glasvitrine des Scala-Kinos stibitzt; dabei waren die Ecken abgerissen.
Zellen, es waren Zellen, Gefängniszellen oder etwas Ähnliches. Was für ein Gebäude war das? Wie ein Gefängnis wirkte es trotz aller Kälte nicht. Eine Klinik, vielleicht eine psychiatrische Einrichtung, in der Menschen weggesperrt wurden. Auch das konnte ich mir nicht vorstellen, solche Irrenanstalten gab es doch längst nicht mehr.
Ich entschied mich, das zu tun, was er nicht erwartete. Sicher war er darauf eingerichtet, dass ich losrennen würde, hektisch von einer Tür zur nächsten, an den Klinken rütteln würde, zu entkommen versuchte. Nichts von
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