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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Handy.
    «Bist du verrückt?»
    Sarah drehte sich zur Seite und wehrte meine Versuche, nach dem Gerät zu schnappen, ab. «Mann, hat der eine lange Leitung», maulte sie, aber nach dem vielleicht sechsten oder siebten Klingeln ging jemand dran. Sofort hielt Sarah das Handy an mein Ohr.
    «Felix, hallo», hörte ich am anderen Ende seine Stimme.
    Ich schnappte nach Luft. Sarah konnte ein Kichern kaum unterdrücken.
    «Hallo?», fragte er.
    Ich brachte keinen Ton hervor.
    «Idiot», sagte Felix und drückte den Anruf weg.
    «So wird das nie was.» Sarah schaute sich um. «Vielleicht steht er hier irgendwo rum», murmelte sie.
    Glücklicherweise tat er das nicht.
    Sarah warf den Motor an und antwortete irgendetwas, das im Röhren der alten Maschine unterging. Ihr Fahrstil war ziemlich gewöhnungsbedürftig. Sonst gab Sarah das schmale blonde Liebchen und kam damit fast überall durch, auf der Vespa entpuppte sie sich zu einer Hornisse im Kampfflug. Ich spürte auch an diesem Tag wieder einmal, dass das die echte Sarah war. Sie schnurrte mit mir im Rücken um die Ecken, als sei sie unverwundbar.
    Ich war mir sicher, sie genoss es, wenn ich meine Arme in der ein oder anderen Kurve fester um sie schlang. «Du musst dich mit mir in die Kurve legen, nicht dagegen», brüllte sie gegen den Fahrtwind. «Wir fliegen auf die Schnauze, wenn du dich in die andere Richtung …»
    «Ja, ja, ja», schrie ich noch lauter, «aber guck bitte, bitte nach VORNE !»
    Zu Hause wartete Mama mit einem Erbseneintopf auf mich. Normalerweise war der Tisch immer für uns drei gedeckt. Der Platz meines Vaters war jedoch leer.
    «Gut, dass er dich nicht so gesehen hat», sagte Mama.
    «Sarah hat mich nach Hause gefahren, was soll er dagegen haben?»
    Sie seufzte nur. «Er kommt nicht zum Essen. Sie streichen heute den Gemeindesaal.»

14
    Stella bremste den Wagen ab und stoppte an der unteren Zufahrt, die von der Landstraße abzweigte. Der schmale Streifen Asphalt führte noch knapp fünfzig Meter zu der Anhöhe mit dem Haus der Morgenthaus. Sie beugte sich weit über das Lenkrad, um den Blick noch einmal über die ländliche Idylle schweifen zu lassen. Den Augenblick hinauszögern – sie versuchte es jedes Mal, dabei wusste sie doch, dass es sinnlos war.
    Das Einfamilienhaus am Rande des Ortes unterschied sich kaum von den anderen in der Straße, und doch signalisierte es schon von weitem, dass sein Erbauer sich nicht in Reih und Glied stellte. Es war das einzige Gebäude in der Straße, das längst und nicht quer gebaut war.
    Eine Gestalt auf der Terrasse wurde auf sie aufmerksam. Als die beiden Polizisten ausstiegen, kam ihnen eine Frau um die sechzig entgegen. Sie hatte ihre ehemals aschblonden, jetzt von grauen Strähnen durchzogenen Haare zu einem Zöpfchen gebunden. Unter ihrem Arm klemmten Nordic-Walking-Stöcke.
    Stella zückte den Dienstausweis. Sie stellte Miki Saito und sich vor.
    Die Frau rührte sich nicht. Einige Augenblicke starrte sie über Stellas Schulter hinweg; ihr Blick ging ins Leere.
    «Frau Morgenthau?», fragte Stella.
    «Ich bin die Großmutter von Celine. Martha Stussmann. Haben Sie unsere Kleine gefunden?»
    «Gehen wir nach oben?», bat Stella.
    Martha Stussmann drehte wortlos um und führte die Polizistin und ihren Kollegen über eine Treppe aus massigen Holzdielen auf die Terrasse des Hauses. Stella nickte dankend, als die alte Frau ihr anbot, einen der Gartenstühle zu nehmen, um dann im Haus zu verschwinden.
    Rostige Metallskulpturen, die jemand aus Alteisen und verwitterten Holzstücken zusammengefügt hatte, zogen den Blick in dem Garten sofort auf sich: deformierte Tierleiber, die fast lebendig wirkten. Sie passten nicht zu den akkuraten Beeten und Hecken, die sauber getrennt von den Rasenflächen und ohne jedes Unkraut waren.
    Ein Mann, ein paar Jahre älter als Martha Stussmann, trat auf die Terrasse. Zum Gruß schob der alte Mann die abgewetzte Baseballkappe auf seinem Kopf nach hinten und nickte den Polizisten zu. Zuerst Saito, dann Stella. Hinter ihm traten seine Frau und Celines Mutter aus dem Schatten.
    «Mein Mann, Norbert», sagte Martha Stussmann. «Und Susan, meine Tochter.»
    Susan Morgenthau sah man das Martyrium der letzten Wochen an. Ihre Haare klebten an der Stirn, eine Bürste hatten sie heute noch nicht gesehen.
    «Es muss weitergehen», waren Norbert Stussmanns erste Worte, bevor er sich in einen der Gartenstühle fallen ließ.
    Ja, das muss es, dachte Stella. Weitergehen.
    «Sie haben sie

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