Unsichtbare Blicke
Nacken gelegt, wie zwei dicke Kumpel, aber es fühlte sich an, als wolle er ihn jeden Augenblick in den Schwitzkasten nehmen.
«So ist es brav», sagte Monk.
Und zwei Tage später hatte er es getan, genau an der Stelle, wo Monk ihn bepisst hatte, an den durchgehenden Trögen aus weiß beschichtetem Blech, die als Waschbecken dienten. Zehn Wasserkräne in einer Reihe, gegenüber, keine Spiegel, genau so, dass man beim Zähneputzen immer einem der anderen Jungs ins Gesicht schaute.
Die Jungs hatten ein Unterhemd in den Abfluss gestopft, es gab keinen Verschluss. Das Becken war schon randvoll. Der Kleine wusste nicht, was das bedeutete, als er reinkam, er war erst eine Woche vorher eingeliefert worden, aber er wusste bestimmt, dass die Stille nichts Gutes verhieß. Ein paar von Monks Leuten, die fünf oder sechs Lieblinge, die er immer hatte, blockierten die beiden Zugänge, am linken und rechten Ende des Waschraums. Alle anderen standen um die Becken herum, keiner sagte ein Wort.
«Du bist der Werner, ja?», begrüßte Monk ihn. «Der Tommi hier will dir was zeigen.»
Monk gab Werner einen Schubs, und der Neue landete direkt in seinen Armen.
Er sagte nichts. Der andere Junge schwieg auch. Er hätte ihn gerne gefragt, ob seine Eltern auch weg seien, rübergemacht, oder ob sie nur einen Ausreiseantrag gestellt hätten oder ob sie einfach nur asoziale Subjekte waren oder vielleicht er selbst, vielleicht war Werner so etwas, asozial, vielleicht hatte Werner schon eine Menge auf dem Kerbholz, so wie Monk, der von einem Heim in das nächste verfrachtet worden war, weil er klaute und eine alte Frau halb totgeprügelt hatte, die ihm ihren Geldbeutel nicht geben wollte. So einer war Werner bestimmt, er hatte es verdient, so oder so, aber nicht mit acht Jahren, Tommi, nicht mit neun, er ist jünger als du, er prügelt keine Omas.
Aber es war zu spät.
Er hatte ihn gepackt, einen Arm auf den Rücken gedreht, so wie er es am eigenen Leib erfahren hatte. Den Arm weit zurück und sobald der Junge schrie – ins Wasser. Blitzschnell, sodass sein Schrei ins Leere ging, sich mit der Brühe füllte, die aus diesen Kränen kam, Wasser, rostiges Wasser, schlammig, ekelhaft, sich damit zu waschen, man musste es lange ablaufen lassen, bevor man die Zahnbürste drunterhielt oder den Mund damit spülte, den Kopf rein, rein damit, den Bauch auf die Kante des Beckens pressen, den verdrehten Arm festhalten, er zappelt, strampelt mit den Beinen, hochreißen, an den Haaren, einmal Luft schnappen, wieder runter, wieder, wieder, wieder, wieder.
Bis Monk ihn zurückgerissen hatte.
Die Jungs johlten nicht mehr. Tommi hatte es gar nicht gemerkt, wie still es geworden war. Ein paar Tropfen aus den Wasserhähnen platschten ins Becken, wie Schüsse peitschte das Geräusch durch den Raum.
«Du hast den Arsch auf», flüsterte Monk, dann schrie er: «Du bist nicht dicht in der Birne, oder was?» Er kniete sich neben das nasse Bündel am Boden und legte das Ohr an den Mund von Werner.
«Du musst am Arm fühlen oder am Hals fühlen, den Puls», sagte einer von denen, die die Tür bewacht hatten.
«Klugscheißer, halt das Maul. Ich weiß selbst, was ich muss. Bleib an der Tür, du Penner», blaffte Monk. «Der ist hinüber», sagte er dann und: «Alle Achtung, Tommi, das hat noch keiner hingekriegt.»
Danach war alles ganz schnell gegangen. Der Waschraum war leer. Nur Werner und er waren noch da, und dann hatte ihn einer von den Erziehern sofort in den Bau gebracht.
Er wusste nicht, wie lange er schon dort war. Das Licht war fast immer an, viel zu viel Licht. Nur ab und zu ging es aus, aber nur kurz. Vielleicht auch nicht, vielleicht war es immer aus, aber er merkte es nicht. Irgendwann vergaß er den Namen von dem Jungen. Er vergaß alles. Was vorbei war, musste schnell vergessen werden. Was nicht in diesen Raum passte, gehörte nicht zu ihm. Vierundfünfzig Kacheln in der Breite, siebenundsiebzig in der Länge, die Wände hinauf einundachtzig, alle weiß und kalt. Man konnte sie abwaschen.
Er konnte nicht abwaschen, was er getan hatte. Er hatte Angst. Es hatte ihm Spaß gemacht.
15
Er musste Platz schaffen. Wenn er Josie für sich gewinnen wollte, musste er Platz schaffen. Abschied nehmen, darum ging es, Abschied nehmen. Es war viel schwerer, die Phantasien loszulassen als das Mädchen selbst. Celines Hülle hatte er niedergelegt, und sosehr ihn das aufwühlte, war es doch viel schwieriger, die Wochen davor auszulöschen. Sie musste
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