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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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verschwinden, alles von ihr.
    Er begann damit, die Schnappschüsse vor der Konzerthalle zu entfernen. Sie hingen direkt über der Arbeitsplatte aus Pressspan: Celine an der Abendkasse, wo er die Eintrittskarte hinterlegt hatte, die vier Stufen hinauf zu der kleinen Bar, an der man vor Beginn der Veranstaltung oder in der Pause ein Glas Sekt trinken konnte, sie hatte sich eine Cola light gekauft. Celine, die sich ihren Platz in der elften Reihe, Sitz 27 suchte, sie hatte ihn nicht gesehen, keine Augen dafür gehabt, dass sich jemand mehrmals umdrehte, drei Reihen weiter vorne und mit der Kamera des Handys Fotos von ihr schoss.
    Wie gerne hätte er sich damals, während der Pianist auf der Bühne mit Chopin davonschwebte, erneut umgedreht, um ihre Miene beim Zuhören zu erwischen. Ein paarmal hatte er einen vorsichtigen Blick über die Schulter gewagt; sie schwärmte nicht, sie wirkte sehr konzentriert, bestimmt verfolgten ihre eigenen Finger das Stück.
    Sie wäre ein gutes Mädchen gewesen, eine Klavierspielerin, das hätte ihm gefallen. Er hatte eine Menge gelernt von ihr, über Musik, an so etwas hatte er vorher nie gedacht, wenn überhaupt, dudelte Musik aus dem Autoradio, und morgens, wenn er seinen Toast mit Nutella beschmierte und in der Küche aß, aus dem alten Ding auf dem Küchenschrank. Er legte nicht viel Wert auf solche Sachen.
    Jetzt musste das alles weg.
    Er riss alles immer schneller von der Wand: die Bilder, Ausdrucke ihrer E-Mails, die Eintrittskarte zum Konzert, die er verwahrt hatte, die Suchplakate, die der alte Narr von Großvater überall angeklebt hatte, hätte er doch besser auf seine Enkeltochter aufgepasst.
    Es störte ihn nicht, dass er einige der Papiere und Fotos dabei zerstörte, das war unwichtig, sie landeten sowieso in dem Feuer, hinten im Wald. Feuer, das war gut, es reinigte alles, am besten wäre es gewesen, wenn er das ganze Zimmer hätte ausbrennen können.
    Ja, es wurde höchste Zeit, dass Josie ihren Platz einnahm. Mit Josie war alles viel einfacher, die Idee, ihre Webcam zu nutzen, war so viel besser, so viel ungefährlicher. So war er immer bei ihr, unsichtbar, aber immer da, zumindest, wenn sie sich in ihrem Zimmer aufhielt, eigentlich war sie viel zu oft dort, auch wenn das für ihn natürlich gut war.
    Der Typ aus Idaho hatte sein Versprechen gehalten, es funktionierte, die Cam lief nun immer, auch wenn Josie glaubte, das Gerät sei abgeschaltet. So waren Mädchen in diesem Alter, irgendwann würde er ihr sagen müssen, dass sie vorsichtiger sein sollte, noch vorsichtiger.
    Er hielt inne. Das Unterhemd klebte an seinem verschwitzten Rücken.
    Man durfte sich nie gehenlassen, deshalb achtete er auf sich. Stell dir vor, du hast einen Unfall und kommst ins Krankenhaus, und dann keine frische Unterhose, wie peinlich, das hatte ihm seine Mutter jeden Morgen eingeschärft, damals, vorher, siehst du, Pipiflecken, was würde dann der Doktor sagen, lachen würde er über dich und denken, dass deine Mutti dich vernachlässigt, das willst du doch nicht?
    Nein, das wollte er nicht.
    Aber die Luft war so stickig, das war der Nachteil an den fehlenden Fenstern, stickig und muffig, der Geruch von Moos und Fäulnis schlich sich immer wieder ein. Aber niemand würde so schnell auf die Idee kommen, hier zu suchen, offiziell war der Keller schon zu seiner Zeit nicht mehr in Betrieb gewesen, man musste sich gut auskennen.
    Für bessere Belüftung sorgen, dachte er, ich muss für bessere Lüftung sorgen.
    Wenn Josie hier wäre. Dann würde es sich ändern. Josie war die Richtige.
    Er betrachtete den Bildschirm eine Weile. Das vertraute Zimmer.
    Dann widmete er sich wieder den Ausdrucken von Standbildern der Kameras. Er hatte nur die schönsten ausgewählt, aber es waren doch sehr viele. Sie brauchten viel Platz, er würde nicht nur die Wand damit schmücken, die Decken, alles konnte er damit tapezieren.
    Wie verspielt sie war, wenn sie glaubte, alleine im Zimmer zu sein.
    Und gleichzeitig war sie so verschämt, zog sich immer hinter der Schranktür um, nie zeigte sie sich nackt, aber das mochte er. Sie war keine Schlampe, sie war ein gutes Mädchen, und er wollte nur ein gutes Mädchen.
    Auf dem Monitor bewegte sich etwas.

16
    Ich versuchte, mich aufs Lernen zu konzentrieren, aber irgendwie fiel es mir schwer, bei der Sache zu bleiben. So pausenlos es in den letzten Wochen geregnet hatte, so plötzlich hatte das Wetter auf fast hochsommerliche Temperaturen umgeschaltet.
    Die Sonne heizte

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