Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
Vom Netzwerk:
selbstgemachten Brombeersaft aus dem Kühlschrank. «Von der Sarah oder von der Nelli?»
    Einen kurzen Augenblick musste Stella selbst überlegen, was sie eigentlich von der Frau wollten. Die Telefonnummer.
    «Von beiden», sagte sie und nahm ein Glas Saft, den Frau Trautmann mit Mineralwasser mischte, entgegen. «Und die von Josefa Sonnleitner», ergänzte Stella.
    «Sagen Sie nicht Josefa zu der Josie, das mag die nich’.» Frau Trautmann lachte und brachte ihren beachtlichen Busen in Wallung. «Aber sagen Sie auch nicht,
wie in dem Lied von Maffay
, das mag die Josie noch weniger.»
    «Die Nummern, Frau Trautmann!»
    «Von der Sarah hängt da neben dem Schrank», sie deutete mit dem Ellbogen auf eine Pinnwand, die mit Zetteln und Werbeblättern übersät war, dazwischen ein paar Fotos von zwei Mädchen. «Ich kann mir das nicht merken, ich muss die immer nachgucken, die von der Nelli muss ich suchen.» Sie betrachtete ihre Hände und nahm Saito, der immer noch fleißig rührte, den Kochlöffel aus der Hand. «Junger Mann, sie können ins Büchlein gucken, unter Schöppmann sind die Nummern von Nelli und von meiner Schwester und alles. Oder unter Nelli. Oder unter Suse, das ist meine Schwester. Die von der Josie hab ich nicht, glaube ich.»
    «Wo ist das Büchlein?», fragte Saito. Er notierte sich Sarah Trautmanns Handynummer.
    «Im Flur, neben dem Telefon.»
    «Ist das Sarah?», fragte Stella und zeigte auf eines der Fotos an der Pinnwand. Zwei Mädchen und ein Junge waren darauf zu sehen; das Foto war am Alexanderplatz in Berlin aufgenommen worden.
    «Ja, und die Josie, die waren da gerade mit der Schule.»
    «Und der junge Mann daneben?»
    «Datt is’ der kleine Italiener», wieder gab Frau Trautmann ihrem fröhlichen Naturell freien Lauf und sang eine Zeile aus einem alten Schlager, den Stella vor Ewigkeiten einmal bei ihrer Tante Gerti gehört hatte. Es ging um zwei kleine Italiener und Tina und Marina und eine Reise in den Süden. «Dem Josie ihr Schmuser», fügte sie endlich verschwörerisch hinzu. «Aber datt darf keiner wissen, die Sonnleitners sind da … schwierig.»
    «Schwierig?»
    «Die halten die Josie so knapp, datt geht doch nicht, oder? Die Mädchen brauchen doch was Freiheit, ne? In dem Alter machen die ihre Erfahrungen, ist doch gut, die müssen doch nicht mehr so wie wir damals rumeiern, ich lass unserer Sarah da die Zügel lang, und sie hat noch nie Ärger gemacht, jetzt mal so enger gesehen, also echten Ärger nie. Eben nur so Ärger, wie es normal ist.»
    Welcher Ärger wohl
normal
ist?, fragte Stella sich. Es schien, als sei Frau Trautmann von ihrer jüngsten Tochter zumindest noch nicht zur Großmutter gemacht worden. Sie hörte Saitos Stimme im Flur.
    Kurz darauf betrat er wieder die Küche und flüsterte Stella ins Ohr. Ihre Miene verdüsterte sich. «Frau Trautmann, bitte setzen Sie sich kurz hin.»
    «Dann kocht mir alles über», wehrte die Frau sich.
    «Schalten Sie es ab. Ich muss mit Ihnen reden. In Ruhe.»
    Ihre Tochter hat wahrscheinlich Ärger am Hals, der nicht
normal
ist, dachte Stella.
    Carola Trautmann hatte bisher keinerlei Argwohn gehegt; nicht einmal gefragt hatte sie, was die Ermittlerin und ihren japanischen Partner zu ihr führte. Nun horchte sie auf. Der neue Tonfall in Stellas Worten war ihr nicht entgangen.
    «Ist dem Kind was passiert?», fragte sie. Jegliche Marmeladensüße war aus ihrer Stimme verschwunden.
    «Sarah war nicht mit ihrer Cousine Nelli verabredet, und sie ist auch nicht in Köln bei ihr angekommen.»
    Die Stille, die sich in der Küche ausbreitete, wurde vom Zischen der überkochenden Marmelade, als diese am Rand des Topfes entlang auf die Herdplatte quoll, durchbrochen. Während Carola Trautmann starr dastand und ein Küchenhandtuch in den Händen knüllte, sprang Ludger Wölke zum Herd und zog den Topf vom Feuer; er verbrannte sich die Finger an den heißen Edelstahlgriffen. Der Topf rutschte im Fruchtbrei weiter, kippte, schepperte auf den Boden. Stella konnte gerade noch zur Seite springen.
    «Macht datt Kind Dummheiten?», flüsterte Sarahs Mutter.
    «Wann haben Sie das letzte Mal mit Sarah gesprochen?»
    Carola Trautmann starrte den Küchenboden an. «So ’ne Sauerei», sagte sie.

[zur Inhaltsübersicht]
    Teil  2
    «Wenn die Wunden längst verheilt sind, tun die Narben weh,
    du brauchst ein ganzes Leben, um die Kindheit zu verstehen.»
     
    (Romy Haag, «Die Blaue Gitarre»)

30
    «Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier,

Weitere Kostenlose Bücher