Unsichtbare Kräfte
nachzuweisen, daß Kapitän Wildrake sein Unternehmen von England aus vorbereitet habe. Die wutschäumende Presse Brasiliens brachte spaltenlange Gutachten von Rechtsgelehrten, wonach Wildrakes Tat als gemeines Verbrechen hingestellt wurde, woraus man wiederum einen Auslieferungsanspruch an alle Weltstaaten herleitete.
Während die Weltpresse darüber lachend zur Tagesordnung überging, blieb es in dem venezolanischen Blätterwald stumm. Die Zensur unterdrückte jede Äußerung. Hatten doch die venezolanischen Unterhändler die Auslieferung Wildrakes für den Fall, daß er sich in Venezuela zeigen würde, zugestanden.
*
Westlich von San Fernando am Ufer des Rio Orinoco lag die Hazienda La Venta.
Als Brasilianer die Mutter Wildrakes und seine Braut Maria Anunziata aus der Gefangenschaft entließen, brachte Robert Wildrake sie hierher. Doch nur kurze Zeit konnte die Mutter sich der wiedererlangten Freiheit freuen. Sie starb.
Maria Anunziata war jetzt allein auf der Besitzung.
Sie war schon in zartester Jugend in die Familie Wildrake gekommen. Ihre Eltern, mit Wildrakes Gattin weitläufig verwandt, waren früh gestorben. Jahre vergingen. Maria Anunziata erwuchs allmählich zur blühenden Jungfrau. Viele bewarben sich um ihre Hand, doch keiner erhielt das ersehnte Jawort. Das hatte schon lange ihr Jugendgespiele, Robert Wildrake, der Sohn des Hauses.
Da kam jene Schreckensnacht, in der die Bewohner von Wildrake-Hall ausgehoben und nach Brasilien in Gefangenschaft geführt wurden.
Getrennt von den Ihrigen, in banger Sorge um das Schicksal ihres Verlobten, verbrachte Maria Anunziata die Tage ihrer Kerkerhaft in marterndem Gram. Eines Tages machte ihr ein herzloser Schließer die Mitteilung, Kapitän Wildrake sei gefangen und standrechtlich erschossen worden. Diese erlogene Nachricht stürzte sie in trostlosen Jammer. Sie verfiel in ein schweres Nervenfieber. Als sie die Krise überstanden, war ihr schon durch so viele Tränen geschwächtes Augenlicht geschwunden. Die Kunde davon drang trotz aller Vorsicht in die Presse. Die Brasilianer suchten das Geschehene einigermaßen wiedergutzumachen, indem sie das blinde Opfer mit der kranken Mutter in die Heimat entließen. —
Maria wollte sich eben zur Siesta niederlegen, da hörte sie aus dem Lautsprecher Berichte über den Stand der Friedenskonferenz. Was war das? Verhandlungen betreffs Kapitän Wildrake? Mit angestrengtester Aufmerksamkeit lauschte sie. Röte und Blässe jagten über ihre Züge.
Die venezolanische Regierung gab den Forderungen Brasiliens nach und erklärte Robert Wildrake wegen seiner letzten Taten als Brecher des Waffenstillstandes, verpflichtete die Behörden, ihn dem Gesetz zu überliefern, falls er venezolanischen Boden beträte.
Der Bericht war zu Ende. Ihr Herz krampfte sich zusammen. So furchtbar aus allem Hoffen und Träumen gerissen - der Geliebte weltflüchtig! Wo mochte er jetzt sein?
*
Franz und Adeline Harrach standen im Spielsaal des Kasinos von Zoppot. Mit glühenden Augen folgten die Geschwister den Bewegungen der Geldmassen auf dem grünen Tisch. Wenn sie doch auch so in Geldhaufen wühlen könnten! In Dobra war die Katastrophe kaum noch aufzuhalten, wenn nicht ein Wunder geschah.
Da war gestern ein Brief aus Warschau gekommen. Franz hatte einen Freudenschrei ausgestoßen, als er ihn las. Man ging anscheinend auf seine Pläne ein. Zwar war der Brief nicht aus der brasilianischen Gesandtschaft selbst, doch gab sein Inhalt Gewißheit, daß sein Schreiber in engen Beziehungen zu dieser stand. Heute abend um zehn Uhr sollten sie in ihrem Hotelzimmer einen Herrn empfangen, der in dem Schreiben als Señor Remedio bezeichnet war.
»Komm! Gehen wir!« sagte endlich Adeline. »Ich muß mich noch umkleiden. Pünktlichkeit ist in solchen Fällen erste Bedingung.« —
Mitternacht war schon vergangen, als Señor Remedio das Zimmer der Geschwister verließ.
»Ein schlauer Bursche, dieser Remedio! Die Anzahlung -« Franz deutete auf einen Scheck - »ist äußerst mager. Doch einerlei! Er ist zweifellos ein ausgesucht gewandter Mensch. Meine Bedenken, die ich immer noch hatte - unser Plan ist doch reichlich gewagt -, sind jedenfalls zerstreut. Ich habe die feste Überzeugung, daß, wenn Wildrake und Droste nochmals nach Winterloo kommen - und damit ist unbedingt zu rechnen -, der Streich gelingen wird. Und dann ...!«
Als gegen zehn Uhr morgens der Schlitten Franz Harrachs in den Schloßhof von Winterloo einbog, achtete kaum jemand darauf,
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