Unsichtbare Kräfte
übernommen. An ihrer Stelle hatte man die demontierte Tankstation im Bauch der »Susanna« verstaut. Nach kurzem Abschied ging das Motorschiff unter Barradas’ Befehl nach Osten.
Es war Mittag geworden, als auch die »Venezuela libre« startfertig war und die Insel verlassen wollte. Da stellte man in letzter Minute noch einen Schaden fest, und die Abfahrt mußte um einige Stunden verschoben werden.
Zwei brasilianische Kreuzer, von Nordosten kommend, steuerten auf die Insel Santa Maria zu. Wohl zehn Seemeilen zurück ein großes Kriegsschiff, dem Aussehen nach ein Flugzeugmutterschiff.
Kapitän Vela vom Kreuzer »Carumba« stieg zur Brücke empor. »Der Teufel soll’s holen! Noch immer nichts zu sehen von der geheimnisvollen Insel. Sollte der alte Schurke uns so an der Nase herumführen? Und fahren wir hier ins Endlose, ohne sie jemals zu finden?«
Der Erste Offizier schüttelte den Kopf! »Kann’s nicht glauben, Commodore! Jean Renard weiß gut genug, daß es um seinen Hals geht. Er wird damals das Besteck schlecht genommen haben.«
»Lassen Sie Jean Renard heraufkommen!« rief Vela einem Maat zu. Kurz darauf wurde der alte Pirat zum Kommandanten auf die Brücke gebracht.
»Wir befinden uns in allernächster Nähe der von dir angegebenen Position. Hier ist unser Besteck. Und deine Insel? Wo ist sie?«
Renard schaute auf das Besteck, ließ den Blick nach Süden gehen.
»Nun?« schrie der Kommandant ihn an. »Willst du wohl antworten, du Schurke!«
»Das Besteck? Ich habe es richtig genommen«, murmelte Renard vor sich hin.
»Du willst doch nicht etwa behaupten, unser Besteck sei falsch?« rief der Erste Offizier. »Fehlt nur noch, daß du sagtest, ein Seebeben habe deine Insel verschlungen!«
Renard nahm zweifelnd den Sextanten, machte selbst eine Ortsaufnahme. Fuhr sich über die Augen. »Und sollt’ ich auf der Stelle zur Hölle fahren, ich kann mich nicht geirrt haben! Mein ganzes Leben habe ich auf der See gelegen. Habe niemals noch an Sonne oder Sternen vorbeigeschossen.«
»Hier müßte die Insel sein!« meldete der Wachoffizier.
»Noch mit meinem letzten Atemzug wollte ich’s beschwören: Hier lag ...«
Renards Worte verklangen in den Schreien, die von der Brücke - jetzt vom ganzen Schiff - jetzt auch vom Nachbarfahrzeug, der »Medusa«, gellten.
Ein Stoß - ein stampfendes, knirschendes Gleiten, als führe man über eine Untiefe. Nun ein Brechen und Dröhnen, als zersplittere ein ganzer Wald im Wirbelsturm.
Die Fahrt, wie von unsichtbarer Hand gebremst, wurde immer langsamer. Ein letzter Ruck - und die Schiffe saßen fest.
Wohin das Auge sah, dichter Urwald ringsumher ...
Die beiden Kreuzer in das sumpfige Mangrovendickicht hineingejagt, festgekeilt. Um die Schiffe herum zerbrochene Aste, gestürzte Baumriesen.
Jegliche Disziplin aufgelöst. Ein Toben, als rase eine Schar Wahnsinniger auf den Decks.
Alles übertönend, aus den Trümmern der zusammengestürzten Kommandobrücke hervor, der Schrei Jean Renards: »Die Insel! Ich hatte doch recht! Hier liegt sie!«
»Nun, hast du die wunde Seele der >Venezuela libre< wieder zurechtgeflickt, Herr Dr. Droste?«
Der nickte mit vergnügtem Gesicht. »Das Schiff ist wieder seetüchtig. Waren ja nur kleine Schäden.«
»Bei Gott!« rief Wildrake, hielt Droste das Glas entgegen. »Ein Meisterwerk, die > Venezuela libre Alle leerten ihre Gläser. Da plötzlich! ... Der eine sah den anderen an:
So dunkel auf einmal um sie her? Droste zog die Uhr. Erst die sechste Nachmittagsstunde?
Die anderen schauten kopfschüttelnd um sich. Droste trat aus dem Schatten des Brotfruchtbaumes auf die Sandfläche, wo er einen besseren Überblick nach Osten hatte. Da sah er jetzt eine mächtige, tiefschwarze Wand, die wie ein dunkler Vorhang über der See hing, jede Sicht nach Norden versperrte.
»Ein Hurrikan im Anzug?«
Im Nu waren Wildrake und die anderen bei ihm. Auch sie schauten prüfend nach Norden.
»Kein Hurrikan, Droste!« sagte Wildrake. »Die scharfen Ränder der Wand widersprechen all meinen Erfahrungen.«
Das starre, drohende Gebilde stand unbeweglich im Äther.
Da - die unheimliche Stille ward jäh unterbrochen von einem ohrenbetäubenden Krachen und Brechen. Als seien Riesenherden von Elefanten in den Mangrovenwald eingebrochen - ein Stampfen, Brausen, in das sich das Geprassel der stürzenden Stämme mischte.
Unwillkürlich
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