Unsichtbare Kräfte
wandte jeder den Fuß zur Flucht. Doch plötzlich wie von Zauberhand hinweggewischt, war die schwarze Wand verschwunden. Der Äther im Norden glänzte wieder im Schein der sinkenden Sonne.
Noch verharrten alle im Bann des gespenstischen Geschehens, da drang ein Gewirr von schreienden Menschenstimmen an ihr Ohr.
»Brasilianische Kommandos!« rief Wildrake. »Ich habe sie deutlich gehört! Was auch ist - schnell hier das Wichtigste zusammengerafft und damit zur >Venezuela libre<. Calleja und Pablo mögen währenddessen den Versuch machen, in den Mangrovenwald einzudringen, um festzustellen, was da geschah!«
Am Ankerplatz der »Venezuela libre« als erster angekommen, stieß Droste einen lauten Ruf aus. »Rasch! Rasch! Die Brasilianer sind über uns.« Er deutete, auf der vorspringenden Landzunge stehend, nach Osten. »Ein Flugzeugmutterschiff da drüben, von dem ein paar Flieger auf die Insel zukommen!«
Im Augenblick waren alle an Bord der »Venezuela libre«, die flugbereit gemacht wurde. In drängender Ungeduld wartete man auf Callejas Rückkunft. Endlich! Da kam er mit Pablo in schnellem Lauf herbeigeeilt. Sie sprangen an Bord - wollten sprechen - da, ein mehrfacher Schrei!
Ein ganzes Geschwader von Flugzeugen stieß von dem Mutterschiff ab.
»Tauchen?« fragte Wildrake zweifelnd.
Droste schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Sie haben uns schon gesehen. Nur in schnellem Flug durch die Luft können wir uns retten.«
Und schon ließ er die Motoren anspringen. In raschester Fahrt schoß die »Venezuela libre« über die Meeresoberfläche dahin, hob sich dabei in die Höhe, stieg schneller und immer schneller.
»Kurs Osten!« schrie Wildrake Droste zu, eilte mit Calleja zu den Heckgeschützen der »Venezuela libre«. »Munition her!«
Da prasselten schon die Maschinengewehrkugeln der brasilianischen Flieger. Gleichzeitig ein Blitzen aus den Rohren des Mutterschiffs.
Mit fiebernden Händen hatten Wildrake und Calleja ihre Geschütze geladen, wollten eben abziehen, da ...
Die Hände sanken tatlos zurück. Wie von Blindheit geschlagen, fuhren sie sich über die Augen. Was war das? ... Nacht! Tiefdunkle Nacht um sie her! Aus allen Teilen des Flugschiffs Lärm und Geschrei, das sich in Freudenrufe verwandelte, als plötzlich überall die elektrischen Lampen aufflammten.
Wildrake stürmte auf die Brücke zu Droste. »Was geht hier vor?«
Droste stand der Frage Wildrakes stumm gegenüber. Drückte dann sekundenlang wie überlegend die Hand vor die Augen. Mit ein paar Sprüngen war er an der Bordwand, riß das Fenster auf, schaute nach unten. Fuhr überrascht zurück.
»Das Meer! Ich sehe seinen Spiegel unter uns - doch so nachtgrau ...«
»Eine dunkle Wolke um uns, in die wir gestoßen sind?«
»Nein, das nicht!« Droste zog Wildrake zum Fenster.
»Ah! Die Dunkelheit weicht zurück! Die Farbe des Wassers wird immer heller! Sieh dort! Ein Sonnenstrahl, der sich in den Wellen spiegelt!«
Droste hielt inne. Es war, als würde eine undurchsichtige Glocke über ihren Köpfen weggezogen.
Die Helligkeit ward stärker. Jetzt! Beide taumelten zurück. »Die Sonne! Da ist sie wieder!«
Ihre Augen hingen an dem rotglühenden Ball, der eben ins Meer tauchen wollte.
Ein paar Rufe vom Heck der »Venezuela libre« ließen sie aufmerken. »Da sind sie wieder, die verfluchten Brasilianer!«
Wildrake und Droste wandten sich erschrocken um. Doch im Nu war alle Besorgnis geschwunden. Fern hinter ihnen glitten die brasilianischen Flugzeuge ratlos suchend durcheinander.
»Ah«, rief Wildrake lachend, »jetzt sehen sie uns, kommen hinter uns her! Das Vergnügen wird nicht lange dauern! In wenigen Minuten bringen unsere starken Maschinen uns aus ihrer Sicht. Dann in weitem Bogen Kurs nach Westen. Kurs auf Venezuela, die Heimat!«
Aller Sorgen ledig, besprachen sie untereinander die rätselhaften, geheimnisvollen Ereignisse. Naturvorgänge?
Droste verneinte. »Was auf der Insel, dann auf der Fahrt geschah, spottet jeder physikalischen Erklärung. Ein dunkler, für das menschliche Auge undurchdringlicher Mantel war um uns gebreitet ... wie eine Tarnkappe über uns geworfen, die dann wieder weggerissen wurde von einem Wesen, dem geheimnisvolle Kraft eigen - märchenhaft, wie König Laurin sie besaß. Ein Freund war’s jedenfalls, der uns in einem tarnenden Mantel der feindlichen Sicht entrückte.«
Die Umstehenden senkten den Kopf.
Die Stimme Marias unterbrach die Stille. »War’s eines Sterblichen Macht von Gott gegeben,
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