Unsterblich geliebt
Zeit blieb ein Teil ihres Herzens einsam und leer. Sie genoss es zwar mit ihren alten Freunden manchmal auszugehen, doch die waren alle Pärchen und an einer Bar einen Fremden anzusprechen war einfach nicht ihr Ding. Wenn sie wegen ihrer Bücher unterwegs war, traf sie fast nur auf weibliche Fans. Ihre Romane waren eher für Frauen gedacht und die wenigen Männer sahen in ihr nur die Autorin, die den Tunnelbrand überlebt hatte und nicht die ganz normale Lara O’Brian. Inzwischen meinte sogar ein Stalker mit unbekannter Identität, sie sei selbst die Romanheldin und schrieb ihr immer aufdringlichere Briefe.
Über das Leben, das sie führte, wollte sie aber auf keinen Fall undankbar sein. Dennoch stellte sie sich oft vor, wie schön es wäre, nach einer Reise die Haustür zu öffnen und von jemandem herzlich begrüßt zu werden. Die warme Umarmung eines Menschen zu spüren, der sie liebte, fehlte ihr am meisten.
John räusperte sich und riss sie aus ihren Gedanken.
„ Schön, sie endlich auch mal nachts hier anzutreffen.“
Wie meinte er das denn? Woher sollte er wissen, dass sie tagsüber hier war? Wie auch immer, bis zur Hüfte war wieder Leben in ihrem Körper, also setzte sie sich mühsam auf und schob unter dem Mantel mit den Händen, ihre tauben Beine zu recht. Dann legte sie sich den weichen Ledermantel um die Schultern.
„ Das mit dem Mantel, war nett von dir. Du scheinst heute wohl mein edler Ritter zu sein.“
Er hob schmunzelnd eine Augenbraue und wirkte amüsiert.
„ Würde ein Ritter dir denn gefallen?“
Okay, jetzt war die eingerostete Phase wohl vorüber. Aber leider war ihr Mund schneller, als die Vorsicht, die vielleicht angebracht wäre.
„ Das käme ganz auf den Ritter an.“ Wenn er so wäre wie du ganz bestimmt!
Ihr Bauch fing an zu kribbeln und ihr wurde ganz warm.
Für einen langen Moment nahm der Blick dieses Mannes sie gefangen. Dabei wirkten seine bernsteinfarbenen Augen im Schein des Feuers auf sie, wie die einer Raubkatze, deren Jagdtrieb gerade geweckt wurde.
Ein angenehmer Schauer lief ihr den Rücken hinunter, aber dann musste sie doch lächelnd den Kopf schütteln.
„ Was ist denn, Lara?“
Sie hatte den Blickkontakt unterbrochen, dennoch spürte sie auf seltsame Weise seinen Blick auf sich, wie von einem Raubtier, das versteckt nach seiner Beute späht.
„ Naja, ich komme hier her und schreibe über Ritter. Und manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn mal einer leibhaftig auftaucht.“
Sie blickte ihn wieder an und bei seinem spitzbübischen Lächeln wären ihr sicher die Knie weich geworden,- wenn sie schon wieder Gefühl darin gehabt hätte.
Doch endlich! Ihre Beine kribbelten und sie hatte das Gefühl den ersten tiefen Atemzug nach einer Ewigkeit zu machen.
Gleich wäre ihr ganzer Körper wieder befreit!
Seit langem fürchtete sie sich, eines Tages bei vollem Bewusstsein für immer in so einer Starre gefangen zu bleiben. Schließlich war das nicht ihr erstes Mal. Immer öfter und länger verlor sie die Kontrolle über sich, klappte einfach bewusstlos zusammen. Es fühlte sich so an, als bekäme sie einen elektrischen Schlag oder ihrem Körper würde die Sicherung heraus fliegen. Aber das Schlimmste daran war die Ungewissheit.
Wann würde das nächste Mal sein? Und wie lange?
Diese Hilflosigkeit machte sie unglaublich wütend, aber auch entschlossen. Morgen würde sie eine dritte Meinung einholen und vielleicht die erste von mehreren Chemotherapien beginnen. Die beiden Fachärzte zuvor hatten erklärt, der Tumor sei inoperabel, zu groß und vor allem zu verwachsen mit anderen Hirnbereichen. Eine Entfernung würde nur die Erhaltung ihrer vitalen Funktionen garantieren. Das ganze Fachkauderwelsch hatte sie nicht verstanden, deshalb fasste der letzte Spezialist das Ergebnis so zusammen: „Ihre Hand wäre in der Lage zu schreiben, doch ihr Kopf hätte vergessen, was Worte sind und wie er die Hand steuert.“
„ Alles okay?“, fragte John eindeutig zweideutig.
Sie nickte nur und versuchte ihre Tränen zurückzuhalten.
Er musste das wohl gemerkt haben und schaute ins Feuer.
„ Hast du schon mal in der Dampflokomotive gesessen, die über diese Brücke fährt?“ Dankbar für die Ablenkung von dem über ihr schwebenden Damoklesschwert erzählte sie von ihrer Fahrt im historischen Zug und beantwortete jede seiner Nachfragen. Ihr schien, als bekäme sein Gesicht dabei einen wehmütigen Ausdruck. Möglichst unauffällig bewegte
Weitere Kostenlose Bücher