Unsterblich geliebt
Kühlschranktür und hob das Blatt auf, das einsam vor ihren Füßen lag. „Sorry. Arabella hat angeboten, mit Dir einkaufen zu gehen.“
Ihre Stirn legte sich in Falten.
Das klang oberflächlich zwar nett, aber die Botschaft zwischen den Zeilen lautete für sie: Allein lassen wir dich nicht hier raus.
Sie zerknüllte das Blatt und feuerte es in die nächste Ecke.
Niemand hatte das Recht, sie gefangen zu halten!
Lara stapfte zurück zur Espressomaschine, gab Zucker in den Kaffee und nahm sich vor, erst einmal die Wohnung in aller Ruhe zu erkunden.
Am Vortag war sie viel zu durcheinander und mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, verführerischen Vampiren zum Beispiel!
Mit der Kaffeetasse in der Hand schaltete sie nacheinander alle Lampen an, um im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel zu bringen.
Doch was das Licht zum Vorschein brachte, gefiel ihr gar nicht und das lag nicht an der überaus edlen und dabei gleichzeitig sehr gemütlichen Einrichtung.
Der riesige, begehbare Kleiderschrank war bis auf einen bescheidenen Männeranteil gefüllt mit Frauenkleidern, Frauenschuhen, Handtaschen, usw.. Die Wände in fast jedem Zimmer waren dekoriert mit Gemälden und Fotos von John und einer Frau an seiner Seite. Das musste wohl seine verstorbene Ehefrau sein, dachte Lara.
Ihr fiel auf, dass die abgebildeten Gesichter immer die gleichen waren, während die Kleidung der beiden unterschiedliche Zeitepochen widerspiegelte. Ein Bild datierte Lara eindeutig ins 18. Jahrhundert, denn das cremefarbene Kleid, das die Frau darauf trug, entsprach der für diese Zeit typischen Rokoko-Mode. Sie erkannte den Stil, weil es ihrem eigenen Kleid, das sie sich hatte nähen lassen, sehr stark ähnelte. Das Kleid, das sie auch in der Nacht auf der Brücke getragen hatte.
Auf dem augenscheinlich ältesten Ölgemälde über dem offenen Kamin war das Paar auf Pferden, bei der Jagd mit Bogen und Armbrust, abgebildet. Ein anderes zeigte die beiden mit dem Pariser Eifelturm im Hintergrund und am Bildrand war vermerkt „L’Exposition Universelle 1900“.
Daneben hatten sie es sich in einem historischen Oldtimer gemütlich gemacht, der noch nicht mal ein Dach besaß und dessen Sitze eher wie die von Kutschen wirkten. „Automobilausstellung Berlin 1906“ war handschriftlich auf der Schwarzweiß-Fotografie zu lesen. Ein Stück weiter standen John und diese Frau vor einer Dampflokomotive mit der Aufschrift „Nr.1“. Das Messingschild am Bilderrahmen trug die eingravierte Inschrift: „Stockton and Darlington Railway 1825“. Vage erinnerte sie sich aus dem Geschichtsunterricht, dass das die Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke für den Personenverkehr in England gewesen war.
Auch wenn sie nicht im Stande war, den Zeitrahmen exakt zu definieren, waren es sicher Jahrhunderte, die John mit dieser Frau an seiner Seite durchlebt hatte.- Jahrhunderte!
Egal welchen Raum sie auch betrat, überall wo sie hinblickte, war diese Frau auf die eine oder andere Art präsent. Handgearbeitete Decken und Kissen mit ihren Initialen, sogar einige Handtücher im Bad hatten ein eingesticktes ‚E‘ oder ‚Elisabeth‘.
Ihr Magen krampfte sich immer mehr zusammen.
Schließlich blieb sie wie versteinert vor einem großen Porträt dieser Frau im Schlafzimmer stehen. Lara hatte das Gefühl eine eiskalte Hand drücke ihr die Kehle zu, als ihr auf einmal klar wurde, wie groß ihre äußere Ähnlichkeit mit Johns verstorbener Ehefrau war. Vielleicht nicht im Detail, aber ihre Statur und vor allem ihre Haare glichen sich exakt und das trotz dieses seltenen Farbtons in Verbindung mit Naturlocken.
Ein Gedanke in ihrem Kopf brachte auf einmal alle anderen zum Stillstand und sie hatte plötzlich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.
Die Eisenbahnbrücke! Ihre Silhouette, dazu noch in dem Rokoko-Kleid, das dem auf dem Ölbild so ähnlich war! Vor allem im Dunklen und aus der Ferne sähe sie dieser Frau zum Verwechseln ähnlich!
Der Boden unter ihren Füssen schien nachzugeben. Mit weichen Knien sank Lara aufs Bett. Unglücklicherweise fiel ihr Blick dabei auf einen wunderschönen Smaragdring, der neben ihr auf dem Nachtkästchen lag. Und weil sie ihm so nahe war, konnte sie mühelos die Worte auf der Innenseite lesen, ohne ihn in die Hand nehmen zu müssen.
„ Sei mein für immer. John“
Genau diese Worte, waren wie eine besitzergreifende Proklamation über seine Lippen gekommen, als er sich letzte Nacht mit ihr vereinigte.
Ein kalter Schauer
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