Unsterbliche Gefährten - das böse Blut
lernen umzugehen – das ging mir auch nicht anders.
Den Durst eine Weile zu bekämpfen, das Verlangen in sich zu zügeln, das Monster nur für kurze Zeit zu beherrschen, dazu gehört schon eine große Portion Mut und Willenskraft.
Justin neben mir krümmt sich plötzlich in seinem Sitz, die zu Fäusten geballten Hände hat er an die Schläfen gepresst. Ein gequältes Stöhnen erklingt aus seinem Mund. Seine ganze Haltung lässt den Schmerz erahnen, den er zu bewältigen hat.
„Justin, ist alles klar, bei dir?“, frage ich ihn vorsichtig. Er nimmt die Hände runter und blickt mich an. Seine Augen haben jegliches Braun verloren, nur noch das raubtierartige Gelb ist zu erkennen. In seinem Inneren tobt ein Kampf, ein heftiger Kampf. Sein Mund verzieht sich, ich sehe die spitzen Zähne. Er scheint wirklich Durst zu haben.
„Nein, mir geht’s gar nicht gut. Ich ...weiß auch nicht …“ Er klingt verzweifelt.
„Justin, wir müssen dir was zu essen besorgen. So kommen wir nicht weit.“ Ich hebe meine Hand und will ihm über die Wange streichen. Er weicht blitzartig zurück und stößt ein kurzes Geräusch, fast wie ein Fauchen aus. Seine Augen sind vor Schreck geweitet. Ich lasse meine Hand sinken und blicke aus der Frontscheibe wieder auf die Straße.
„Entschuldige“, murmelt Justin, „ich glaube nicht, dass ich deine Berührung jetzt ertragen könnte.“
Ich überlege fieberhaft, wo ich jetzt etwas Nahrhaftes für ihn auftreiben kann.
Ich werde ihn mit zu mir nach Hause nehmen, da ist mein kleiner Konserven Vorrat noch. Das wird ihm erst einmal über das schlimmste hinweghelfen.
„Justin, wir fahren schnell zu mir, da hab ich noch was im Kühlschrank.“
Er krümmt sich wieder in seinem Sitz. Ich presse die Lippen zusammen und gebe Gas. Der Mustang gehorcht und brüllt unter mir auf. Kurz darauf lenke ich den Wagen auch schon in die Tiefgarage. Ich parke auf meinem Parkplatz – der Van meines Nachbarn steht noch daneben.
„Willst du im Auto bleiben? Ich kann schnell hoch laufen, das Zeug holen und wir können dann weiter.“
Ich sehe Justin fragend an. Er schüttelt den Kopf.
„Nein, … will … mit“, stößt er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Wir steigen beide aus und gehen schweigend nebeneinander her in Richtung Treppenhaus.
Den Griff der Türe, die zum Treppenhaus führt, habe ich schon in der Hand. Ich sehe Justin an, blicke in seine Raubtieraugen, seine Zähne – lang und spitz – die Lippen darüber zurückgezogen, sehe seine angespannte, gekrümmte Haltung. Fast spüre ich seinen Schmerz. Ich überlege kurz, ob das damals bei mir auch so war, hatte ich auch diese Schmerzen, dieses Verlangen, diesen Durst?
Ich weiß es nicht mehr.
Leider.
Sonst wäre ich besser vorbereitet gewesen, sonst hätte ich Bescheid gewusst.
Ich hätte vielleicht erahnen können, was da auf mich zukommt.
Ich ziehe die Türe zum Treppenhaus auf und zwei Dinge geschehen fast gleichzeitig.
Ein Mensch steht im Türrahmen – ich erkenne ihn als den Mieter unter mir – Ralph.
Er sieht mich kurz erstaunt an und will gerade die Hand zu einem Gruß erheben.
Das ist die letzte Bewegung, die er in seinem Leben ausführt. Justin stürzt sich auf ihn, noch ehe Ralph seine Hand richtig hoch gehoben hat. Das Ganze hat noch nicht mal ein Blinzeln gedauert, ich bin vollkommen erstarrt und halte immer noch die Türe auf, halte mich an ihr fest.
Justin hat Ralph umgeworfen und sich sofort auf seinen Hals gestürzt. Gierig saugt er das Menschenblut in sich hinein.
Dabei hält er Ralph eisern fest. Fasziniert starre ich auf die beiden, die im Treppenhaus vor mir auf dem Boden liegen.
Wie schnell der Bursche ist, denke ich bei mir.
Wie idiotisch, sich auf den erst Besten zu stürzen.
Ralph trommelt, mit seinen Füßen einen letzten rhythmischen Takt. Die Luft ist erfüllt mit den Gerüchen der Tiefgarage, dem süßen Blut von Ralph und – ich schließe meine Augen und atme tief ein – ich kann sogar Justins Gier und Verlangen riechen.
Oder ist es nur ein Gefühl? Kann ich fühlen, was er jetzt spürt? Ich öffne meine Augen wieder und sehe, gerade noch, wie Justin von Ralph ablässt. Er lehnt sich mit geschlossenen Augen an die Wand.
Ich kann meine Wut und auch mein Entsetzen nicht mehr zügeln.
„Du Vollidiot“, brülle ich, meine Stimme prallt von den Wänden ab und verdoppelt, verdreifacht sich. Ich zucke ein bisschen zusammen.
Leiser sage ich: „Verdammt, was hast du dir nur dabei
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